Die schöne Spionin
Bett gegangen. Sicher, sie hatte die Tür einen Spalt breit offen gelassen und mit einem Ohr nach Simon gehorcht, sogar in ihrem unruhigen Schlaf, aber das zählte nicht als wach
gesessen.
Als sie schließlich aufstand, war es schon nach neun. Sie glaubte, seine Rückkehr überhört zu haben und dass er längst ungeduldig auf sie wartete, also beeilte sie sich mit ihrer Toilette.
Aber Simon saß nicht bei Tisch, und als sie ihren Tee nahm, war er immer noch nicht zu Hause. Zu diesem Zeitpunkt hielt sie das Warten kaum noch aus, denn die heutige Post enthielt ein ganz besonderes Schreiben.
Eine Einladung zu einem informellen Dinner in Etheridge House am morgigen Abend.
Sie hatte die Zusage selbstverständlich sofort abgeschickt, auch wenn sie das Einladungsschreiben mit dem prächtigen Monogramm noch einmal finster gemustert hatte, so kurzfristig, wie es eingetroffen war. Dalton Montmorency war sich seiner recht sicher. Aber war das nicht jeder Mann?
Agatha war mit der Entwicklung jedenfalls überaus zufrieden, bis ihr ein Gedanke kam.
Falls sich morgen Abend herausstellte, dass Lord Etheridge der Griffin war – und sie es irgendwie schaffte, ihm zu entlocken, wo sie Jamie finden konnte – dann hatte sie keinen Grund mehr, Simon an sich zu binden.
Sie wollte, dass Jamie nach Hause kam.
Aber sie wollte auch, dass Simon bei ihr blieb.
Für immer.
Das waren die Überlegungen, die sie in ihrem Haus am Carriage Square Umtrieben. Sie rang mit sich, bis die Sonne unterging und verleugnete in einem leeren Zimmer ihre Gefühle.
Oh, verdammt. Wen wollte sie eigentlich überzeugen? Sie war erledigt, das ließ sich nicht bestreiten. Es war genau so, wie es in all den Geschichten zu lesen stand, dieses Gefühl, die eine Hälfte von etwas ganz Großem zu sein. Sie fühlte sich beraubt, wenn die andere Hälfte fort war.
Sicher, sie kannte ihn noch nicht lang, doch sie wusste, sie waren das perfekte Paar. Sie wusste, er verstand sie.
Sie war vom ersten Augenblick an verzaubert gewesen. Erst von seinem Aussehen, ja, es stimmte. Aber wofür war all die maskuline Perfektion da, wenn nicht um anziehend zu wirken?
Doch es war der Mann darunter, der sie in Bann schlug. Sie hatte schon früher gut aussehende Männer kennen gelernt, gut genug, um zu wissen, dass sich unter einer schönen Oberfläche nicht immer ein schönes Innenleben verbarg. Doch Simon war jetzt seit Wochen bei ihr im Haus und hatte nie versucht, das auf unfaire Weise auszunutzen. Und auch Nellie hatte nur von untadeligem Benehmen berichtet, als Agatha sie diskret befragt hatte.
Simon war ein Dieb, das Produkt einer Vergangenheit, die Agatha sich nicht annähernd vorstellen konnte. Der Standesunterschied hätte ihn zum letzten Mann machen müssen, den sie hätte haben wollen. Aber verstand man unter einem Gentleman nicht einen Mann von Ehre und Standhaftigkeit, der niemals einen Schwächeren ausgenutzt hätte?
Wenn dem so war, dann war Simon ganz sicher ein Gentleman und Reggie, der Rüpel, war keiner.
Abgesehen davon, kümmerte die Meinung der anderen Agatha wenig. Wo waren die anderen denn gewesen, als Jamie und sie praktisch alleine und auf sich selbst gestellt gewesen waren?
Wenn sie Simon schon mehr als jeden anderen Mann wollte, warum sollte sie ihn dann nicht haben? Sie würde ihren Wunschtraum durchsetzen.
Wie gut dieser Entschluss tat! Da saß sie nun, unentrinnbar verrückt nach Simon, und wo war er? Die ganze Nacht über draußen, irgendwo bei einem Einbruch, wo er sich in unerträgliche Gefahr brachte.
Die Wahrheit war, dass er nicht zu stehlen brauchte. Agatha hatte mehr als genug Geld für sie beide. Wie konnte sie ihn wissen lassen, dass sie ihm nicht nur eine gute Frau sein würde, sondern obendrein eine reiche Erbin war?
Dass die Beaus nicht längst bis auf die Straße Schlange standen, lag einzig daran, dass sie und Jamie beschlossen hatten, es nicht herumzuerzählen.
Eine Stimme in ihrem Kopf fragte leise, warum Jamie sie nie nach London geholt hatte, wenn ihm doch so daran lag, dass sie sich gut verheiratete?
Unsinn. Er hätte sie bald kommen lassen, da war sie sich sicher. Er hatte einfach nicht gewollt, dass sie einem Mitgiftjäger auf den Leim ging.
Irgendeinem aufs Geld versessenen Stromer, dem es nur um den Profit ging…
Oh, du meine Güte! Vielleicht legte sie Simon besser keinen solchen Köder aus.
Sie
wusste, dass ihr geliebter Dieb nur sichergehen wollte, nie mehr in solcher Armut leben zu müssen wie in seinen
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