Die schoene Tote im alten Schlachthof
Abbildung von bunten, schwebenden
Objekten, die ihn an Ostereier erinnerten.
»Vermissen Sie die Liege?«, fragte ihn Dr. Hanus unvermittelt. Lachend
fügte er hinzu: »Machen Sie sich keine Sorgen, ich kann genauso wenig Gedanken
lesen wie Sie. Aber alle, die zum ersten Mal bei mir sind, haben diesen
suchenden Blick.«
De Boer musste ebenfalls lachen. »Da bin ich aber beruhigt«, sagte
er. »Ich dachte schon, ich wäre anomal.«
»Ach, wo denken Sie hin. Aber die Psychologie macht doch auch
Fortschritte.« Dr. Hanus lächelte sanft. »Aber Sie sind ja nicht wegen einer
Behandlung hier. Es geht um Melanie Rosskämper?«
»Exakt«, sagte de Boer. »Wir haben Frau Rosskämper am Freitag tot
aufgefunden. Sie hat beim Malen in der Kunstakademie in Trier-West einen
anaphylaktischen Schock erlitten.«
»Um Gottes willen.« Dr. Hanus war sichtlich bestürzt. »Dann ist sie
genau daran gestorben, wovor sie immer so panische Angst hatte.«
»War sie deshalb bei Ihnen in Behandlung?«
»Unter anderem, ja«, antwortete der Psychologe. »Sie hatte immer
wieder einen Traum, der sie schon seit Jahren, eigentlich sogar seit ihrer
Kindheit verfolgte. Darin steckte ihr Vater sie in eine Pferdebox und ließ sie
darin sterben. ›Konfrontationstherapie‹ nannte er das in ihrem Traum, hat sie
immer gesagt. Dabei meint der Begriff in der Wissenschaft etwas ganz anderes.«
»Was meint er denn?«, fragte de Boer.
»Natürlich nicht, dass man jemanden bis ultimo einer
lebensgefährlichen Situation aussetzt. Die Konfrontationstherapie ist eine
erprobte psychotherapeutische Intervention, bei der es darum geht, den
Patienten von Zwangs- und Angstzuständen zu befreien. Dazu wird der Patient in
der sogenannten Exposition mit den für ihn angstauslösenden Reizen
konfrontiert, allerdings immer mit der Zustimmung des Patienten. Im Fall von
Frau Rosskämper wäre das angstauslösende Moment ihr Vater gewesen, nicht das
Pferd. Sie mit einem Pferd in eine Box zu sperren wäre auch völlig sinnlos, ist
doch ihre Allergie keine psychische Disposition, sondern medizinisch indiziert.
Verstehen Sie?«
De Boer hatte Dr. Hanus folgen können und nickte.
»Also litt sie unter Ängsten«, stellte er fest. »Hatte sie neben der
vor ihrem Vater noch weitere?«
»Nein«, antwortete Dr. Hanus. »Aber sie hatte eine ganze Reihe von
Kompensationshandlungen entwickelt, die sehr problematisch waren und sie immer
wieder in schwierige Situationen gebracht haben.«
»Was meinen Sie genau?«
»Nun, Sie haben sie ja wohl gesehen. Sie war mehr als attraktiv, sie
war das, was man landläufig als eine Göttin bezeichnet.«
»Sie meinen eine Sex-Göttin, Dr. Hanus?«
»Wenn Sie so wollen, ja. Sie war einfach umwerfend, ihr Körper
perfekt, ihre Bewegungen …«
»Haben etwa auch Sie mit ihr geschlafen?« De Boer wusste nicht, ob
er die Grenzen des Zulässigen überschritt. Doch der Arzt blieb
erstaunlicherweise völlig ruhig.
»Ja«, gestand Dr. Hanus. »Das habe ich. Sie würden es sowieso
herausbekommen. Sie hat mir förmlich keine andere Wahl gelassen.«
De Boer schaute etwas mitleidig, was den Psychologen seinerseits
offenbar irritierte.
»War sie nymphoman veranlagt?«, fragte de Boer.
»Diesen Begriff benutzen wir in der Psychologie schon lange nicht mehr,
Herr Kommissar. Heute sprechen wir von Hypersexualität, obwohl auch dieser
Begriff mehr als umstritten ist. Aber zu Ihrer Frage, ich will schließlich
nicht dozieren: Ja, sie hatte gewisse Tendenzen. Sie hat von sich selbst
gesagt, dass ein Tag ohne einen neuen Mann für sie ein verlorener sei. Und sie
hat stark nach dieser Maxime gehandelt. Aber etwa ab dem Spätsommer hat sie
eine Veränderung in ihrem Verhalten gezeigt.«
»Das heißt, Ihre Therapie zeigte Wirkung?«
»Vielleicht.« Hanus strich sich durch seine bereits etwas schütteren
Haare. »Wissen Sie, ich betreibe hier Gesprächstherapie. Erfolge sind dabei
manchmal unmittelbar, manchmal aber auch erst über einen längeren Zeitraum
festzustellen. Frau Rosskämper jedenfalls hat ab einem gewissen Punkt ein
deutlich entspannteres Verhalten gezeigt als in den Sitzungen zuvor. Und sie
machte mich auch nicht mehr so offensiv an, wie sie es vorher schon mal getan
hatte.«
De Boer nickte. »Worauf führen Sie die von Ihnen geschilderte
Änderung ihres Verhaltens zurück, Dr. Hanus?«
»Tja.« Nun wurde der Psychologe verhalten. Er schaute aus dem
Fenster. »Ich glaube, es gab einen Mann in ihrem Leben, der
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