Die schoene Tote im alten Schlachthof
als heute jedoch ging es früher noch um Inhalte. Nur mit gutem Aussehen
wäre man hier damals nicht weit gekommen. Haben Sie sich die Arbeiten von
Melanie Rosskämper einmal genauer angesehen?«, fragte er.
Ferschweiler musste sich eingestehen, dass er mit den Bildern, die
er bisher von Melanie Rosskämper gesehen hatte, nicht viel anfangen konnte. Er
hatte nur eine gewisse Beklemmung bei den Motiven empfunden: Qual, Folter,
Erniedrigung waren die Assoziationen, die er mit dem Gesehenen verband. Aber er
wollte sich seinem Gesprächspartner gegenüber keine Blöße geben, und so wog er
seine Worte gut ab, bevor er antwortete:
»Nun, künstlerisches Talent und überaus gutes Aussehen müssen nicht
unbedingt im Widerspruch zueinander stehen. Soweit ich weiß, war auch Picasso
kein hässliches Entlein. Und dass Melanie Rosskämper über Ersteres wie
Letzteres verfügte, werden Sie wohl nicht bestreiten wollen, oder?«
»Welches Talent meinen Sie?«, rief von Stiependorf erbost und gab sich
entsetzt über die glorifizierende, fast schon faschistoide Darstellung von
Leid, Schmerz und Gewalt in Melanie Rosskämpers Arbeiten. Das sei alles nur
Augenwischerei, ohne wirkliche Tiefe und ohne jeglichen echten Ausdruck.
Heldenmut, Standhaftigkeit, die Aufopferungsbereitschaft für höhere Ideale, das
sei eine Botschaft. Aber Melanie Rosskämpers Kunst sei nur auf den Effekt aus gewesen,
nichts Echtes, schloss von Stiependorf sichtlich echauffiert. Kunst jedenfalls
sei etwas anderes. Von Stiependorf wirkte sehr kategorisch in seiner Ablehnung.
Er wollte gar nicht mehr aufhören, den Kopf zu schütteln.
Ferschweiler konnte dessen Ärger nicht recht verstehen und setzte in
scharfem Ton nach: »Wenn ich Sie richtig verstehe, fühlen Sie sich übergangen.
Da rackern Sie sich in den ganzen Jahren ab, kämpfen mit dem Material und den
Kniffen und Tücken der Kunst, und dann kommt da diese junge und äußerst
attraktive Frau und erntet die Lorbeeren. Die Dozenten loben sie in den
höchsten Tönen, versprechen ihr Erfolg und Ausstellungen in den großen Galerien
dieser Welt. Und Sie als alter Hase der Akademie gehen leer aus. Da ist bei
Ihnen eine Sicherung durchgebrannt.«
»Was fällt Ihnen ein, Herr Kommissar?«, fuhr ihn von Stiependorf an,
aber Ferschweiler blieb völlig ruhig, und sein Konsequenzen verheißender Blick
ließ von Stiependorf schnell wieder verstummen.
»Außerdem haben Sie vor Kurzem in der Apotheke Ihres Bruders mehrere
Liter Walnussöl erstanden. Warum? Arbeiten Sie damit?«
Ferschweiler war nun richtig in Fahrt. Wenn er irgendetwas nicht ausstehen
konnte, dann die Überheblichkeit und Arroganz eines Oberschichtlers wie von
Stiependorf. Was bildete sich dieser Altachtundsechziger eigentlich ein? Es
wäre doch gelacht, wenn er ihm nicht etwas Respekt einflößen könnte, dachte er
nicht ohne Genugtuung. Allerdings kam von Stiependorf als Täter für ihn nicht
wirklich in Frage, das sagte ihm sein Bauchgefühl, auf das er sich bisher immer
hatte verlassen können. Aber irgendwann irrte sich jeder einmal – und
gegen einen möglichen Irrtum half nur größtmögliche Professionalität.
»Ja, Sie haben recht«, entgegnete von Stiependorf wieder etwas
gefasster. Er war offenbar leicht aus der Reserve zu locken und eher impulsiv
denn überlegt. »Personen wie Melanie Rosskämper, denen einfach so das in den
Schoß fällt, wofür andere hart arbeiten müssen, haben mich einfach schon immer
aufgeregt. Aber es ist nicht so, dass ich neidisch auf sie gewesen wäre. Als
Maler tauge ich nichts, das habe ich durch verschiedene Kurse an der Akademie
mittlerweile erkannt. Aber diese Erkenntnis war nicht schlimm für mich, ich würde
sie sogar als heilsam bezeichnen. Ich male nicht, um groß rauszukommen, wie so
viele andere hier. Wofür auch? Ich will nicht berühmt werden. Mir geht es um
ganz andere Dinge, um innere Werte.«
»Und das Walnussöl?«, insistierte Ferschweiler.
»Was haben denn meine kulinarischen Vorlieben mit der Rosskämper zu
tun? Seit wann hat es die Polizei zu interessieren, womit ich mir meine
Vinaigrette zubereite?«
»Also bestreiten Sie nicht, Walnussöl gekauft zu haben?«
»Warum denn auch?«
»Weil diese Substanz im Zusammenhang mit dem Tod von Melanie
Rosskämper eine zentrale Rolle spielt.« Ferschweiler sah von Stiependorf direkt
in die Augen. Aber dieser hielt stand.
»Sie verdächtigen doch nicht etwa mich? Also wirklich, Herr
Kommissar.« Von Stiependorf schüttelte den Kopf. »Da
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