Die schoene Tote im alten Schlachthof
Rechercheergebnisse zu den
Teilnehmern, die sie am Vormittag befragt hatten, zusammen. Alle waren sauber,
ihre Angaben, wo sie sich den Freitagnachmittag und -abend über aufgehalten
hatten, stimmten. Und zu von Stiependorf lag lediglich eine belanglose Mahnung
aufgrund eines unbezahlten Knöllchens wegen innerörtlicher
Geschwindigkeitsüberschreitung vor, ansonsten: keine Vorstrafen, auch die
Finanzen schienen auf den ersten Blick in Ordnung zu sein. Und sein Bruder
hatte ihn tatsächlich am Freitag besucht; das hatte er de Boer am Telefon
bestätigt.
Die Sache mit der ägyptischen Zigarette hatte Ferschweiler
schon den ganzen Tag über nicht mehr losgelassen. Für ihn war sie ein
entscheidendes Puzzleteil zur Aufklärung der Morde an Melanie Rosskämper und
Ulrike Kinzig. Offiziell bot tatsächlich kein Tabakwarenladen in Trier die
Marke Emir an, das hatte er de Boer recherchieren lassen. Doch irgendwoher
musste der Täter die Glimmstängel ja bezogen haben. Natürlich schied das
Internet als Bezugsquelle nicht völlig aus, aber Ferschweiler wusste aus
eigener Erfahrung, dass Suchtmittel schnell zu beschaffen sein mussten, wenn
die Vorräte zur Neige gingen. Also musste der Täter die Zigaretten irgendwo in
Trier oder in der näheren Umgebung gekauft haben. Ferschweiler hatte nicht
lange überlegen müssen, wen er in diesem Fall um Rat fragen konnte.
Von den Kollegen einer herbeigerufenen Streife ließ er sich vor der
Hofeinfahrt zum Dechant-Engel-Haus auf der anderen Seite der Trier-West
durchziehenden Bahngleise absetzen. Noch sehr gut konnte er sich daran
erinnern, wie er hier einmal gegen eine Bande von Autodieben ermittelt hatte,
damals, als er noch nicht bei der Mordkommission gewesen war. Seitdem hatte
sich hier viel getan. Heute beherbergte die Einrichtung der Caritas eine
Jugendspielstube, eine Kindertagesstätte sowie die Büros des Ortsvorstehers und
den kommunalen Versammlungsraum.
Eilig ging Ferschweiler die Eurener Straße entlang, und nachdem er
den russischen Markt mit dem einladend klingenden Namen »Sibiria« passiert
hatte, bog er rechts in die Gneisenaustraße ein. Weit hatte er es nicht mehr.
Noch knapp zweihundert Meter, und er hätte Günthers »Happy Shop« erreicht, die Quelle
für so manches in seinem Kiez.
Plötzlich war er nicht mehr allein.
»He, Alter, bleib stehn!«
Vor ihm hatten sich zwei Halbstarke mit Baseballcaps und schimmernden,
reich bedruckten Nylonjacken und -hosen aufgebaut. Ringe verschiedener Größe
zierten ihre Ohren und Nasenflügel, Tätowierungen waren auf ihren Handrücken zu
erkennen. Der kleinere der beiden hielt ein Messer in der Rechten, der andere
hob drohend eine Art Schlagring.
»Macht keinen Quatsch, Jungs. Ich bin von der Polizei«, warnte
Ferschweiler, doch da war es bereits zu spät.
Wie beiläufig hatte der Größere ihn in die Magengrube geschlagen.
Mit einem lauten »Uff« ging Ferschweiler in die Knie.
»Haste Geld, Alter? Dann gib schnell. Sonst gibbet noch einen.«
»Lasst mich in Ruhe, von mir bekommt ihr nichts!«
Mit voller Wucht schlug der Messerträger Ferschweiler mit der Faust
auf die Schulter. Der andere fasste ihm gleichzeitig in die Jackentasche und
zog seine Brieftasche heraus. Noch bevor Ferschweiler reagieren konnte, waren
die beiden auch schon weg.
»Scheiße!«, schrie er für seine Verhältnisse unverhältnismäßig laut.
»Und so etwas passiert gerade mir.«
Dies war einer der seltenen Momente, in denen er sich darüber
ärgerte, niemals seine Dienstwaffe zu tragen. Als er sich gerade wieder erhoben
hatte und den Schmutz von seiner Jacke klopfte, sah er die beiden
Jungkriminellen erneut auf sich zukommen.
Diesmal nicht, Jungs, dachte er. Diesmal bin ich vorbereitet. Schließlich
habe ich nicht umsonst früher Kampfsport trainiert. Alles werde ich ja wohl
nicht vergessen haben.
Aber die beiden verhielten sich ganz anders als noch kurz zuvor.
Geradezu verlegen traten sie vor Ferschweiler und blickten unsicher zu Boden.
Der kleinere der beiden, der Ferschweiler vorhin mit dem Messer bedroht hatte,
hielt ihm die Brieftasche, die darin enthaltenen Geldscheine sowie seinen
Personalausweis entgegen, auf den sie einen Blick geworfen haben mussten.
Ferschweiler war mehr als überrascht. Was wurde denn hier gespielt?
»Sorry, Alter. Tut uns echt leid. Hätten mir gewusst, dass du der Ferschweiler
bist, hätten mir natürlich nix gemacht. Also alles quant, okay?«
Ehrfurchtsvoll grüßten die beiden und verschwanden schnell
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