Die schoene Tote im alten Schlachthof
sie Ferschweiler. »Dann können Sie mich
jederzeit anrufen, falls Sie noch etwas von mir wollen …«
Ferschweiler überging die letzte Bemerkung und steckte die Karte
wortlos ein.
»Hatten Sie eine gute Beziehung zu Ulrike Kinzig?«, fragte er dann.
»Eigentlich ja«, antwortete Helena Claus. »Aber sie war eher
verschlossen. Sie nahm zum Beispiel nie an irgendwelchen Feiern hier an der
Akademie teil und mied auch ansonsten alle Zusammenkünfte, selbst unseren
Betriebsversammlungen blieb sie fern. Ich glaube, sie war ein eher unsicherer
Typ.«
»Aber sie war doch schon lange hier beschäftigt?«
»Immerhin sechs Jahre. Aber auch die Zeit hat nichts an ihrer Zurückhaltung
geändert. Privates hat sie nie erzählt. Und wenn doch einmal ein Gespräch
zustandekam, dann ging es immer nur um ihren Hund oder um Pop-Musik.«
Ferschweiler nickte. »Wissen Sie, ob Frau Rosskämper zu manchen
ihrer Dozenten näheren Kontakt pflegte?«
»Sie war mit Otmar Wolters befreundet, aber das wissen Sie ja schon«,
antwortete Helena Claus, dann zögerte sie. »Und dann wäre da natürlich Laszlo
Kafka, ein weiterer unserer Dozenten. Aber ich möchte keine Gerüchte in die
Welt setzen, Herr Ferschweiler.«
»Das kann ich verstehen, Frau Claus, aber dieses Risiko werden Sie
angesichts des Todes von Melanie Rosskämper eingehen müssen«, entgegnete
Ferschweiler.
»Frau Rosskämper hat Laszlo Kafka regelrecht angebetet, das kann man
kaum anders sagen.« Helena Claus war vor dem Eingang zur Kunsthalle stehen
geblieben. »Ich glaube, die beiden hatten was miteinander, zumindest würde es
mich nicht wundern.«
»Könnten Sie das bitte näher ausführen?«
»Ich habe sie verschiedene Male zusammen gesehen. Einmal standen sie
nebeneinander an Frau Rosskämpers Staffelei und haben über ihre Arbeit
gesprochen. Mir ist dabei die Art und Weise aufgefallen, wie sie sich angesehen
haben. Sie machten den Eindruck, als wären sie ineinander verliebt, zumindest
wirkten beide äußerst vertraut miteinander.«
»Danke, dass Sie uns Ihre Beobachtung mitgeteilt haben, Frau Claus.
In dem Fall würden wir jetzt gern Herrn Kafka zu seiner Beziehung zu Melanie
Rosskämper befragen.«
»Das dürfte aktuell etwas schwierig sein. Herr Kafka ist vergangenen
Freitag ins Ausland gereist, nach Luxemburg, glaube ich. Aber wir erwarten ihn
für morgen zurück. Helena Claus öffnete die Tür zur Kunsthalle. Drinnen
herrschte bereits rege Aktivität.
»Gerade wird die Abschlussausstellung der Herbstkurse vorbereitet.
Die veranstalten wir jedes Mal, wenn eine Kurseinheit zu Ende geht. An diesem
Abend werden alle Ateliers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und jeder,
der sich für die Arbeit an der Akademie interessiert, kann kommen und sich
informieren. Einige unserer Teilnehmer konnten an diesen Abenden schon eines
ihrer hier bei uns entstandenen Kunstwerke verkaufen. Aber diesmal ist alles
anders als sonst.«
Sie schloss die Tür hinter sich und den beiden Kommissaren. »Die
Nerven liegen bei vielen blank. Sie wissen ja, dass Dr. Berggrün diesmal einen
Preis ausgeschrieben hat. Eine Jury wird sich heute Abend alle Arbeiten
anschauen und dann einen Sieger küren, der im kommenden Jahr eine Ausstellung
seiner eigenen Werke in der Kunsthalle ausrichten darf. Für einige unserer
Teilnehmer könnte dies der Durchbruch sein, entsprechend strengen sich alle an.
Aber die Stimmung ist diesmal sehr aufgeladen, nicht so entspannt wie sonst.
Und dann noch die beiden Morde …«
Dank der hohen Wände und der guten Lichtverhältnisse schien die
Kunsthalle Ferschweiler tatsächlich ideal für Veranstaltungen aller Art,
besonders für Kunstausstellungen. Er selbst hätte diesen grandiosen Raum zwar
anders genutzt, vielleicht für eine Großraumdisco, aber gut.
Helena Claus begann damit, über die Geschichte der Akademie und die
Nutzung der Kunsthalle im Besonderen zu referieren, während sie auf den Ausgang
auf der gegenüberliegenden Seite zugingen. Plötzlich wurden sie von lautem
Geschrei abgelenkt. Zwei Frauen hatten unweit von ihnen lautstark miteinander
zu streiten begonnen. Die eine – Ferschweiler schätzte ihr Alter auf Mitte
bis Ende sechzig – hielt eine Leinwand in den Händen, die die andere, noch
ältere Frau ihr zu entreißen versuchte.
Helena Claus entschuldigte sich und eilte zu den beiden
Streithennen, die jetzt damit begannen, sich an den Haaren zu ziehen. Helena
Claus gelang es überraschend schnell, die beiden zu trennen. Die
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