Die schoene Tote im alten Schlachthof
Sie bitte Platz. Darf ich Ihnen einen Kaffee
bringen lassen?«
»Nein, vielen Dank. Ich trinke keinen Kaffee.« Mit immer noch
verstohlenem Blick setzte sich die Künstlerin.
»Frau Egger, Sie sind schon sehr lange an der Akademie beschäftigt,
wenn ich nicht irre?«
»Nein, Herr Kommissar, Sie irren nicht«, antwortete sie leise. »Ich
bin seit ihrer Gründung hier. Ich gehöre, wenn Sie so wollen, zur Erstausstattung.«
»Dann kennen Sie ja die hiesigen Verhältnisse sehr genau.«
»Wie meinen Sie das?«
Doris Egger war eine eher zierliche Person um die sechzig, drahtig,
mit kurzen, lockigen braunen Haaren. Ferschweiler fragte sich, ob ihre
Haarfarbe tatsächlich echt war, aber er verwarf die Frage sofort wieder: Diese
Frau hätte sich niemals die Haare gefärbt, sie war durch und durch authentisch,
ganz im Gegensatz zu all den anderen Personen, die ihm hier an der Kunstakademie
bislang über den Weg gelaufen waren. Nichts an ihr wirkte verstellt.
»Ich komme selbst hier aus dem Viertel«, sagte er. »Und da habe ich
viel über die Frühzeit der Akademie gehört, teilweise sogar das eine oder
andere miterlebt. Einer meiner Cousins war, wie Sie vielleicht wissen, hier
einmal Hausmeister.«
»Ja, wir vermissen ihn sehr.« Doris Egger bekam einen leicht verklärten
Gesichtsausdruck. »Er war so etwas wie die gute Seele der Akademie.«
»Sie waren, wie ich gehört habe, Freitagabend, als die Tote gefunden
wurde, auf dem Gelände der Akademie?«
»Ja. Ich komme aus der Vulkaneifel, und da habe ich immer einige
Zeit zu fahren, bis ich in meiner Werkstatt bin. Da nutze ich natürlich die
volle Zeit aus, die ich hier sein kann.«
»Sie haben keine eigene Unterkunft in Trier?«
»Nein. Früher habe ich manchmal im Turmzimmer übernachtet, aber das
ist lange her. Jetzt versuche ich, mehr daheim zu sein bei meinem Vater, den
ich ein wenig pflegen muss. Er hatte kürzlich seinen zweiten Schlaganfall.«
»Und was war am vergangenen Freitag? Was haben Sie gemacht?«
»Erst hatte ich Kurs, drüben in der Radierwerkstatt, dem letzten
Flachbau nach Süden hin. Der, der von allen Gebäuden hier am meisten dem
Verfall anheim gegeben ist.« Während sie das sagte, lächelte sie so, als ob sie
die Wertschätzung ihrer Kunst am Erscheinungsbild des Gebäudes messen wollte.
Ferschweiler konnte sich noch gut erinnern. Dort, wo heute mit Säure,
Kupfer und Zink gearbeitet wurde, hatte in seiner Kindheit noch das Gebrüll der
Rinder die Luft erfüllt.
»Aber das ist schon ein etwas sonderbarer Ort, um Kunst zu machen,
oder?«
»Weil dieses Gebäude früher einmal als Schlachthof genutzt wurde,
meinen Sie? Nein, damit hatte ich nie Probleme. Das mit den Tieren ist ja Gott
sei Dank längst vorbei. Jetzt werden dort wirkliche Werte geschaffen, innere,
meine ich. Nicht solche mit materiellem Mehrwert. Zumindest ist das nicht unser
Hauptanliegen. Reichtum macht Glück schließlich kaputt.«
»Ist Ihnen Freitagabend irgendetwas aufgefallen? Wie lange haben Sie
in Ihrer Werkstatt gearbeitet?«, fragte Ferschweiler, der das Gespräch wieder
in für ihn sicheres Fahrwasser lenken wollte. Die Kunst war nun wirklich nicht
sein Metier.
Doris Egger sah ihn etwas irritiert an, fast so, als habe sie die
Frage nicht richtig verstanden.
»Ich war so bis circa siebzehn Uhr dreißig in der Radierwerkstatt«, antwortete
sie bedächtig. »Dort habe ich noch in aller Ruhe ein neues Verfahren der
Foto-Radierung ausprobiert. Ich möchte Frau Dr. Berggrün gern die
Foto-Radierung als neues Kursangebot schmackhaft machen. Leider hatte nicht
alles so geklappt, wie ich es mir vorgestellt hatte, und so war es doch etwas
später geworden. Dann habe ich noch kurz die Werkstatt aufgeräumt, nur
Hans-Joachim von Stiependorf war noch da. Aber der stört mich nicht, er
arbeitet sehr leise. Dann bin ich ins Atelier E5 gegangen, wo ich noch bis
circa neun Uhr gemalt habe. In all der Zeit ist mir aber nichts Ungewöhnliches
aufgefallen. Aber ich war auch recht müde und in Gedanken, da habe ich auf
nichts besonders geachtet.«
Hier hakte Ferschweiler nach. »Moment, Frau Egger, beim Verlassen
der Akademie muss Ihnen doch das Licht in Atelier C aufgefallen sein. Die Tür
hat ein Oberlicht, und das Atelier liegt auf dem Weg zum Ausgang.«
»Wie ich schon sagte, ich war ganz in Gedanken. Ich war immer noch
etwas frustriert darüber, dass die Belichtung meiner neuen Filme nicht so
funktionieren wollte, wie ich es mir erhofft hatte.«
Ferschweiler war
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