Die schoene Tote im alten Schlachthof
in einem Mordfall.«
»Ja, eine tragische Geschichte. Ich habe Melanie sehr gemocht. Sie
war eine Art Muse für mich.«
Während er das sagte, breitete Kafka theatralisch die Arme aus.
Musen, dachte sich Ferschweiler, gab es hier an der Akademie
offensichtlich sehr viele.
»Kannten Sie die Tote näher?«, wollte er wissen.
»Natürlich. Wir waren sehr gute Freunde. Als ich von ihrem Tod
erfuhr, habe ich bitterlich geweint. Aber das Leben muss ja weitergehen, Herr
Kommissar. Die Sonne hört nicht auf, im Osten auf- und im Westen unterzugehen,
nur weil ein geliebter Mensch stirbt. So hart das auch klingt, es ist nun
einmal so. Diese Erfahrung haben Sie sicherlich auch schon gemacht.«
Kafka traten Tränen in die Augen. Der Tod der jungen Frau schien ihm
wirklich nahezugehen. Oder er war ein guter Schauspieler – was
Ferschweiler in seiner langen Karriere bereits häufiger untergekommen war.
»Es bleibt eine Wunde, die sich niemals ganz schließen wird. Aber
gegen die Schmerzen helfen Ablenkung und Arbeit. Und deshalb habe ich heute
auch direkt wieder mit meiner Arbeit begonnen. Auch in den letzten Tagen hatte
ich für Trauer keine Zeit; ich musste mich in den Trubel der internationalen
Kunstszene stürzen und habe einige Sammler meiner Werke in Luxemburg und der
Wallonie besucht.«
»Woher kannten Sie Frau Rosskämper? Nur hier von der Akademie?«,
fragte Ferschweiler.
»Ich habe sie vor einigen Wochen in einem meiner Kurse begrüßen
dürfen. Doris Egger hatte mich ihr empfohlen. Kennen Sie sie schon?«
»Ja«, entgegnete Ferschweiler, »ich hatte bereits das Vergnügen. Und
was war Ihr Eindruck von Melanie Rosskämper?«
»Das können Sie sich sicherlich vorstellen, Herr Kommissar. So eine
talentierte Frau! Sie war eine echte Bereicherung für mich und meine Kurse. Sie
hatte so viel Esprit und eine Art, die alle geradezu elektrisierte. Sie war
eine äußerst interessante Person.«
Das war, fand Ferschweiler, eine nette Umschreibung für das Verhalten
einer Frau, die nachweislich extrem polarisiert hatte.
»War sie auch in künstlerischen Dingen eine interessante Person?«,
fragte er.
»Was hatten Sie denn gedacht? Natürlich auch in künstlerischen Dingen!
Melanie war ein Naturtalent. Sie hat Dinge gekonnt, für die andere semesterlang
ackern mussten, wenn sie es denn überhaupt schafften. Kunst hat mit harter
Arbeit zu tun, Herr Ferschweiler, aber vor allen Dingen mit Begabung, mit
Fortune, mit Hingabe. Und das kann man weder lernen noch lehren, anders als das
technische Handwerkswerkzeug. Und auch echte Hingabe kann man nicht üben. Dazu
sind die meisten hier auch schon zu festgefahren, zu borniert. Aber Melanie,
die war anders. Sie war eine tolle Künstlerin.«
Und offensichtlich für dich auch eine tolle Frau, schlussfolgerte
Ferschweiler.
»Was machen Sie denn genau an der Akademie, Herr Kafka? Ich habe
Ihren Namen schon in so manchem Zusammenhang gehört.«
Kafka tat, als wäre es ihm etwas peinlich, von seinen Tätigkeiten zu
berichten. Aber Ferschweiler war nicht erst seit gestern Polizist. Er
durchschaute Kafkas gespielte Bescheidenheit.
»Ich hoffe, nur in guten. Ich leite einen bestens besuchten Malkurs
und helfe zudem mal hier, mal da aus, je nachdem, wo gerade Not am Mann ist.«
»Ihr Rat ist also sehr gefragt?«, hakte Ferschweiler nach.
»Das können Sie wohl sagen«, entgegnete Kafka nun doch sichtlich
stolz. »Kunst entsteht immer im Dialog und im Team. Wer diese Regeln nicht
akzeptiert, hat letztendlich keine Chance.« Dann setzte er, für Ferschweilers
Geschmack etwas zu aufgesetzt grinsend, hinzu: »Künstler und Künstlerinnen
aller Sparten, vereinigt euch – mit mir!«
»Rauchen Sie eigentlich, Herr Kafka?«, fragte Ferschweiler unvermittelt.
Die an beiden Tatorten gefundenen Zigarettenstummel gingen ihm durch den Kopf.
»Ich? Äh, nein …« Kafka schüttelte den Kopf, doch Ferschweiler war
die leichte Unsicherheit in dessen Antwort nicht entgangen. Ob er log? Der Mann
war Ferschweiler zunehmend suspekter.
»Mit so gesundheitsgefährdendem Zeug habe ich nichts am Hut. Ich
plane eine große Karriere, und da muss ich stets fit sein. Und eine meiner
wichtigsten Devisen lautet: No drugs! «
Ferschweiler hatte inzwischen genügend Erfahrungen mit Künstlern und
deren Hang zur Selbstdarstellung gemacht, um zu wissen, dass er schnell wieder
zurück zur eigentlichen Sache kommen musste, sonst würde sich dieses Gespräch
noch ewig hinziehen.
»Herr Kafka, erlauben Sie mir
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