Die Schöne und das Biest
tat, verursachte ein Knacken des Unterholzes. Ganz in ihrer Nähe raschelte es, als würde sich ein Tier aus seinem Versteck herausschleichen. Sie glaubte sogar, in der Dunkelheit ein Paar rot glühende Augen zu entdecken. Doch im nächsten Moment verschwanden sie wieder. Es blieb nichts zurück als die Nacht, die Belle umgab.
Mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass sie vollkommen unbewaffnet war. Wütend hatte sie die Dorfschänke verlassen und sich auf ihrem Weg in den Wald keinerlei Gedanken um ihre eigene Sicherheit gemacht. Jetzt kniff sie die Augen halb zusammen und suchte mit Blicken den Boden ab, soweit sie ihn in der Dunkelheit noch erkennen konnte.
Da lag ein dicker Ast nicht weit von ihr. Belle bückte sich und hob ihn vom Boden auf. Er war dreckig und glitschig, aber das störte sie nicht. Sie hatte etwas gefunden, womit sie sich im Notfall verteidigen konnte.
Gerade fragte sie sich, wie spät es wohl mittlerweile sein mochte, da sah sie auf einer kleinen Lichtung etwas liegen. Aufgeregt rannte sie darauf zu. Das Herz pochte ihr bis zum Hals. Dieses Etwas erkannte sie sofort! Es war der Schal ihres Vaters. Sie selbst hatte das Stück gestrickt. Nun nahm sie es in die freie Hand und presste es kurz gegen ihre Wange. Der Schal war ebenso eiskalt wie die Nacht.
Schließlich richtete Belle den Blick wieder auf und erkannte vor sich einen schmalen Weg, der von der Lichtung direkt auf ein Schloss zuführte. Wie eigenartig, sagte sie sich, denn sie hatte nie davon gehört, dass sich mitten im Wald ein Schloss befand.
Ob ihr Vater dorthin gegangen war, um Hilfe zu erbitten? Aber wer sollte dort schon leben — in einem einsamen Schloss mitten im Wald? Und ganz sicher würde dieser Jemand nicht irgendeinem Fremden einfach so zur Hilfe eilen. Ehe Belle sich versah, spielte ihre Fantasie auch schon verrückt. Sie malte sich aus, wie wundervoll dieses Schloss im Inneren sein könnte. Vielleicht lebte da sogar ein einsamer Prinz. Belle lächelte bei dem Gedanken daran, wie dieser Prinz aussehen mochte.
Während sie ihrer Fantasie freien Raum ließ, kam sie dem Schloss immer näher und vergaß ihre Umgebung. Sie dachte nicht daran, dass sich auch andere Wesen in ihrer Nähe aufhalten könnten. So kam das Heulen des Wolfes für sie vollkommen unerwartet. Er hielt sich ganz in ihrer Nähe auf, und er wäre sicher sehr schnell bei ihr gewesen, hätte er es darauf angelegt.
Panisch wirbelte Belle herum. Sie versuchte den Wald zu durchschauen. Aber sie erkannte nur wenig. Mittlerweile war es viel zu dunkel, und das Mondlicht drang zwischen all dem Geäst nur spärlich hindurch.
„Oh, bitte“, keuchte sie, „bleib weg von mir.“
Nach einem Moment der Starre setzte sie sich wieder in Bewegung — weiter in Richtung Schloss. Ihre Schritte wurden schneller und schneller, bis sie zu laufen begann. Sie lief so schnell sie konnte auf das düstere Gemäuer zu. Dort würde sie Hilfe finden — und ganz bestimmt auch ihren Vater. Zumindest redete sie sich das ein.
Das Heulen des Wolfes verfolgte sie noch bis in die Eingangshalle des Schlosses. Dann fiel jedoch die gewaltige Tür mit einem ohrenbetäubenden Krachen hinter ihr zu. Der Lärm hallte in dem kalten, spärlich von Kerzen beleuchteten Gemäuer kurz nach. Belle erstarrte. Sie wagte sich kaum umzusehen, um festzustellen, in welche Lage sie hier geraten war. Erst als einen Moment später Stille eintrat, entspannte sie sich etwas. Nun wandte sie sich um und betrachtete die weitläufige Halle, die keineswegs einladend wirkte. Eigenartigerweise lagen überall auf dem Boden rote Rosenblätter verstreut.
Die Wände hingegen waren grau und wiesen an vielen Stellen Risse auf. Ihre einzige Zierde bestand aus den Kerzenleuchtern, die wie Speere in grotesker Weise in die Höhe ragten.
Belle schleifte den Ast mittlerweile mit einer Hand hinter sich her. Doch ganz gleich, wie schwer er wurde, sie wollte nicht von ihm lassen. Mutig tat sie einen Schritt vorwärts. „Hallo!? Ist hier jemand?“
Ihrem Ruf folgte keine Antwort, und so ging sie ein Stück weiter. „Ich brauche Hilfe! Bitte!“
Wie aus weiter Ferne hörte sie ein Kratzen und ein Schleifen.
„Hallo?!“, rief sie ein weiteres Mal. Von blinder Neugier angetrieben wagte sie sich weiter und weiter vor, bis sie schließlich an der breiten Treppe ankam.
Zuerst hatte es den Anschein, als befände sich am Ende der Halle lediglich diese Treppe, die nach oben führte. Nun, als Belle direkt davor stand, erkannte sie
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