Die Schöne und der Tod (1)
steht, hört er ihre wütende Stimme, die ihn aufhalten will, die ihn fragt, ob er verrückt geworden ist.
Was machst du da, sagt sie.
Die Uhr, sagt er. Sie ist da unten. Ich muss sie verloren haben, als ich das Grab geschaufelt habe.
Lass meine Schwester in Ruhe, schreit sie.
Sie ist tot, sagt er und gräbt weiter.
Er ignoriert sie. Sie wird so oder so wieder abfahren, nach London, nach Wien, egal wohin, nur weg von hier, aus dem Dorf, weg von ihm. Warum sollte er sich also plagen, ihr alles zu erklären, warum sollte er sie bitten, ihn zu unterstützen, ihn zu verstehen? Warum? Emma hat das mit seinem Vater nie richtig verstanden, dass er für diese Uhr seinen rechten Fuß geben würde, würde sie erst recht nicht verstehen. Sie steht nur da, schaut zu mit offenem Mund, droht. Eben waren ihre Körper noch zusammen, kein Wort war zwischen ihnen, jetzt ist alles anders. Max gräbt.
Er ist schnell, die Erde ist noch locker und luftig, er macht keine Pause, lässt sich nicht aufhalten. Er weiß, dass sie ihn verachtet, für alles, was er nicht getan hat in seinem Leben, für alles, was er jetzt tut, Tote ausgraben, eingraben. Mit den Knochen spielen, wie früher als Kind.
Max legt den Sarg frei. Er hat es ohne Schalung geschafft, nichts ist eingebrochen, in nur einer Stunde war er bei Marga. Er bindet das Seil um die Griffe.
– Hilf mir.
– Du hast sie ja nicht alle. Ich werde dir sicher nicht helfen, meine Schwester wieder aus diesem Loch zu holen.
– Ich will meine Uhr, warum willst du das nicht verstehen?
– Du bist so krank, Max. Anstatt mit mir im Bett zu liegen, gräbst du Leichen aus, sogar dann, wenn dich keiner darum bittet.
– Nur weil du nichts hast, woran du hängst, musst du mir das nicht vorwerfen.
– Du machst alles kaputt, immer machst du alles kaputt. Es könnte so schön sein.
– Bitte nimm das Seil und zieh. Ich schaffe das alleine nicht. Bitte.
– Verdammt, das ist meine Schwester da unten, und sie ist tot, und sie bleibt da, ich will sie nicht mehr sehen. Ich will, dass du jetzt sofort aus dem Loch kommst und sie in Ruhe lässt.
– Bitte, Emma. Nur kurz.
– Ich hole die Polizei, wenn du nicht damit aufhörst.
– Das tust du nicht.
– Wenn August das erfährt, dreht er durch.
– Aber er erfährt es nicht.
– Warum sollte ich dir helfen? Gib mir einen Grund, einen.
– Du willst wieder zurück ins Bett mit mir.
– Das habe ich auch immer gehasst an dir, du Macho, dass du immer meinst, alles dreht sich um dich. Nur du, niemand sonst, deine Bedürfnisse, keine anderen. Max, immer nur Max, was
du
willst, was
du
für richtig hältst.
– Emma, komm jetzt, bitte, diese Uhr ist mir sehr, sehr wichtig. Du hilfst mir, den Sarg hochzuziehen, und gehst dann wieder nach oben, ich hole die Uhr, mache das Grab wieder zu und komme zu dir. Niemand wird merken, dass es noch einmal offen war. Du legst dich hin und wartest auf mich, einverstanden?
– Du spinnst ja.
– Wir können dann auch wieder schweigen, das hat besser funktioniert.
– Kleiner, dreckiger Totengräber.
– Emma, bitte, komm schon, denk an die Nacht, wie sie noch werden kann.
– Was ist das?
– Was?
– Der Sarg.
– Was ist mit dem Sarg?
– Da stimmt was nicht, schau doch.
Er folgt ihren Blicken, ihrem Finger. Emmas Augen sind groß. Der Sarg ist aufgebrochen, jemand hat ihn mit Gewalt geöffnet. Max zögert. Was er sieht, kann unmöglich passiert sein. Er hat das Grab zugemacht, die Kränze daraufgelegt, der Sarg war unbeschädigt, als die Erde nach unten fiel. Max will den Deckel hochheben, aber er klemmt, Erde bricht ein. Er springt aus dem Grab, er schreit Emma an. Sie soll ziehen, er drückt ihr das Seil in die Hand, gemeinsam bringen sie den Sarg nach oben. Panik kommt in ihm auf, etwas stimmt nicht, der Sarg ist zu leicht. Max hat keine Erklärung für das, was passiert, er reißt den Deckel nach oben, Emma hält sich die Augen zu. Max steht neben ihr und starrt. Marga ist nicht mehr da, keine Leiche im Sarg. Emma dreht sich zu ihm um, sieht, was er sieht. Kein abgemagerter toter Körper, nichts.
– Wo ist sie?
– Ich habe keine Ahnung.
– Du bist hier der Totengräber.
– Ja, und ich habe sie vergraben, hier, da unten lag sie, und diese Erde habe ich auf sie geschaufelt. Gestern nach der Beerdigung, während ihr ins Gasthaus seid. Das kann nicht sein, Emma, sie muss da sein.
– Dann such mal.
– Hör auf damit. Jemand hat mein Grab geöffnet.
– Was redest du da?
–
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