Die Schöne und der Tod (1)
unterschreiben. Und jetzt lass mich hier in Ruhe meine Arbeit machen.
Max tritt von einem Bein auf das andere, es ist kalt, er will bleiben, will nicht schlafen, er will wissen, was passiert ist. Wer außer Kattnig könnte das getan haben? Ein Nekrophiler, der sich die Schönste vom Friedhof holt? Wer könnte Interesse an der verhungerten Leiche haben? Ist August erpressbar, hat er Geld, hat jemand die Leiche deshalb gestohlen? Wer kommt sonst noch in Frage? Fans, Stalker, Psychopathen? Es ist verrückt, was passiert ist, dass es passiert ist, es gibt keine Erklärung dafür. Stundenlang immer dieselben Fragen in seinem Kopf, stundenlang Max zwischen den Gräbern, Tilda, Häufchen von Erde in kleinen Plastiksäckchen. Dann wie es langsam hell wird. Wie die Scheinwerfer ausgehen, wie der Tag beginnt, wie die Spurensicherung zusammenpackt und die Ruhe auf den Friedhof zurückkommt. Der Sarg wurde in die Kapelle gebracht, das Friedhofsgitter versperrt.
Max läutet bei Baroni, doch niemand öffnet. Baroni wollte eigentlich am Abend aus Wien zurückkommen. Max ruft ihn an, spricht mit seiner Mailbox. Er soll aus dem Bett steigen und kommen, schnell, es sei etwas passiert im Dorf, etwas, das so nicht zu akzeptieren sei, Baroni soll ihm helfen, das Schwein zu finden. Welches Schwein, das wird er erfahren, wenn er da ist. Dann legt er auf.
Er geht zurück zum Haus, er will sich hinlegen, kurz schlafen, bis Baroni da ist, bis Tilda mit August fertig ist, bis sie ihm alles erklärt, ihn beruhigt hat, ihm eine Geschichte über das Grab erzählt hat. Max hat sie darum gebeten, von untrüglichen Zeichen zu sprechen, die ihn veranlasst hätten, das Grab zu öffnen, Spuren am Grab, die ihm keine andere Wahl gelassen hätten. Tilda wird ihm den Gefallen tun, sie hat alles für ihn getan, immer schon. Er wird schlafen gehen und wieder aufwachen, und dann wird er sich um alles kümmern. Er wird denjenigen finden, der seine Leiche gestohlen hat.
Emma muss warten. Für sie ist jetzt kein Platz mehr in seinem Kopf, er will ihr aus dem Weg gehen, vielleicht kurz nach ihr sehen, nur einen Blick auf sie werfen, ohne sie zu wecken. Die Augen ohne sie zumachen. Er will schlafen, doch er läuft der Presse in die Arme. Sie haben ihn gesehen, laufen ihm nach, erwischen ihn noch, bevor er die Haustür erreicht.
Die Nachricht, dass etwas passiert ist am Friedhof, hat sich schnell herumgesprochen. Es wimmelt von Journalisten, sie drängen sich um ihn, alle sind sie da, Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Radio, Fernsehen, sie wollen wissen, was passiert ist, sie haben Blut geleckt, sie sind gierig. Sie haben zwar Bilder von den weißen Männchen am Friedhof, vom Sarg, aber sie haben keinen Text. Sie wissen nicht, was passiert ist, sie wollen Einzelheiten. Die Kripo hat geschwiegen, Lusser und seinen Kollegen hat Tilda mit scharfen Augen befohlen, das ebenso zu tun. Kein Wort zu niemandem.
Max überlegt, was er tun soll. Sie zur Seite schieben, sie ignorieren, sie anschreien, weil ihm danach ist. Jemanden bestrafen, jemanden kränken, beleidigen, weil es wütet in ihm, weil er hilflos ist, weil eine Leiche fehlt, weil Emma wieder da ist. Sie stehen vor ihm. Sie betteln, bedrängen ihn, fotografieren, filmen ihn, den Totengräber Max Broll. Er muss ihnen etwas sagen, er war die ganze Nacht über am Tatort, sie haben ein Recht darauf, sagen sie, sie werden so und anders alles erfahren. Max entscheidet sich. Er greift an. Egal ob Tilda wütend sein wird, egal was passieren wird, es ist sein Friedhof, es sind seine Leichen, er ist für sie verantwortlich, er muss etwas unternehmen, er muss auf den Tisch schlagen, laut und fest. So, dass es jeder hören kann.
Er erzählt alles, was passiert ist, über das Model Marga Huber, über ihren Selbstmord, über das Grab, das er aus Intuition geöffnet hat. Er schmückt seine Geschichte aus, liefert Details. Dass die Erde nicht dort war, wo sie hätte sein sollen, dass die Kränze anders lagen, dass er keine Wahl hatte, dass er gespürt hatte, dass etwas nicht stimmte. Er beschreibt, wie er das Grab vorsichtig öffnete, wie er auf den beschädigten Sarg stieß und sich alle seine Befürchtungen bestätigten. Dramatisch führt er aus, wie er mit Entsetzen feststellen musste, dass die Leiche des Models verschwunden war. Max baut Spannung auf, treibt alles einem Höhepunkt entgegen, er beschreibt den Moment, in dem der Sargdeckel nach oben ging. Die Meute staunt, schreibt mit, stellt Zwischenfragen. Max genießt
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