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Die Schöne und der Tod (1)

Die Schöne und der Tod (1)

Titel: Die Schöne und der Tod (1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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kann man oft nicht verstehen.
    – Warum sollte er seine Schuhe ausziehen, Tilda? Ich bitte dich, denk doch mal nach.
    – Warum, warum? Warum tötet eine Mutter ihr neun Monate altes Kind? Warum sticht eine Jugendliche auf ihren Bruder ein? Wieso übergießt ein Mann seine Freundin mit Benzin und zündet sie an? Warum, Max?
    – Ich weiß es nicht.
    – Ich auch nicht.
    Er fährt zurück ins Dorf und parkt vor dem Haus, in dem Dennis aufgewachsen ist. Er muss mit der Großmutter sprechen, sie muss auf eine Obduktion bestehen, das ist der einzige Weg.
    Max klopft. Niemand öffnet, keine Stimme, kein Laut. Er geht einfach hinein. Die Küche ist leer, auch die Stube. Er ruft nach ihr, keine Antwort. Dann geht er die Treppe nach oben. Das Haus ist alt, so wie die Frau, die vor ihm im Bett liegt. Sie hat nicht auf die Rufe reagiert, Max hat die Schlafzimmertür aufgemacht, sie aufgeweckt. Nur langsam kam sie zu sich, schob die schwere Daunendecke ein wenig von sich. Sie schaut Max verwirrt an. Sie weiß nichts. Keiner hat es ihr gesagt.
    – Dennis? Wo warst du?
    – Nein, ich bin es, Max.
    – Wo ist Dennis?
    – Deshalb bin ich hier.
    – Ich wollte kochen, aber ich bin eingeschlafen. Mein Kreuz, ich konnte nicht mehr stehen, musste mich hinlegen. Wie lange muss er noch arbeiten, mein Junge? Kommt er zum Essen?
    – Sie müssen mir jetzt gut zuhören, verstehen Sie mich?
    – Mein Junge ist ein guter Junge.
    – Ja, das ist er.
    – Hilf mir auf, Max, ich koche.
    – Dennis ist tot.
    – Wann kommt er, Max? Willst du mit uns essen?
    – Dennis kommt nicht mehr. Er ist gestorben, verstehen Sie das? Er ist erfroren, heute Nacht.
    – Ich werde ihm heute etwas ganz Besonderes kochen, aber ich muss noch einkaufen, es ist nichts mehr da.
    – Sie verstehen mich nicht, Dennis ist tot, er kommt nicht zum Essen, er kommt gar nicht mehr.
    – Könntest du vielleicht für mich in den Laden gehen, Max? Drei Schnitzel und ein Bier für euch. Kartoffeln habe ich noch.
    – Ich habe ihn heute Morgen gefunden. Er ist auf der Bank gesessen, am Dorfplatz, er hatte keine Schuhe an, keine Jacke. Dennis ist tot.
    – Hat er was angestellt, der Junge? Kannst es mir ruhig sagen, Max. Er ist ein guter Junge, er meint das nicht so. Du kennst ihn ja. Wenn er was angestellt hat, kannst du es mir ruhig sagen. Nur Geld habe ich nicht, ich kann nicht dafür bezahlen, wenn er was angestellt hat. Aber kochen kann ich für euch. Für dich und Dennis.
    Max setzt sich zu ihr auf das Bett. Ganz langsam erklärt er ihr, was passiert ist, zweimal, dreimal. Er hält ihre Hand, er telefoniert, holt Hilfe. Dann nimmt er die kleine, schmächtige Frau in die Arme. Sie weint leise, sie zittert, sie verliert ihren Enkel in diesem Moment. Max versucht sie zu trösten, die zerbrochene Frau zu halten. Ihr Weinen tut ihm weh. Er spürt die Traurigkeit in sich, er spürt, wie sie innen an seine Wände schlägt, wie sie schreit, wie sie heraus will. Nebeneinander sitzen sie. Bis es läutet, bis die Sozialarbeiterin der alten Frau über die Haare streicht.
    Max fährt weiter. Er will zum Bestatter, er will Dennis noch einmal sehen. Er spürt, wie er die Tränen nicht mehr unten halten kann. Er beginnt zu weinen, er fährt durch den Ort und spürt, wie ihn die Traurigkeit überrollt. Die Tränen kommen schnell und heftig über seine Wangen, sie haben gewartet, bis er alleine war, jetzt sind sie da, überschwemmen seine Augen. Er muss stehenbleiben, er kann nichts mehr sehen, er stellt den Motor ab, schluchzt, schnallt sich ab und bückt sich, er schiebt seinen Oberkörper nach vorn, versteckt sich unten bei den Pedalen, er versteckt sein Gesicht, seine Tränen, niemand soll ihn so sehen, keiner.
    Wie er zusammenbricht. Der Pritschenwagen des Gemeindearbeiters steht am Straßenrand. Max schluchzt. Dennis, Emma. Es tut weh, überall tut es weh. Wie es aus ihm rinnt, wie er verzweifelt das Bremspedal anstarrt. Er hat nicht auf ihn aufgepasst.

Vierzehn
    Max löffelt Suppe in Tildas Küche, so wie früher. Tilda sitzt neben ihm, im Fernsehen berichten die Lokalnachrichten, wieder zeigen sie die Bilder von Max, sie sprechen von dem Gehilfen des Totengräbers, der zwei Tage nach dem spektakulären Leichenraub zu Tode kam, ein Unfall, sagen sie, und sie sprechen vom Einbruch in der Sakristei. Pfarrer Stein ist zu sehen, er fuchtelt mit seinen Händen in der Luft herum, beschwört den Herrn, lamentiert über Zucht und Ordnung, man sieht Bilder vom Friedhof, Margas Grab. Von

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