Die Schöne und der Tod (1)
einer Serie ungewöhnlicher Ereignisse ist die Rede. Sie zeigen ein Foto von Dennis, ein altes Foto. Die Großmutter muss es ihnen gegeben haben. Verängstigt und scheu schaut er aus dem Fernseher. Max starrt den leeren Teller an.
Er hat Dennis gesehen. Wie er auf dem Tisch des Bestatters lag, ausgestreckt, friedlich, als ob er schlief. Max hat ihn berührt. Er hat mit der Handfläche sein Gesicht berührt, hat mit den Fingern über seine Wange gestrichen. Max war lange bei ihm, der Bestatter hat ihn nicht weggeschickt, gab ihm sogar einen Stuhl und ließ ihn zusehen, während Dennis gewaschen wurde. Es war still im Keller des Bestatters, langsam und bedächtig tat er seine Arbeit, Dennis wurde für die Beerdigung vorbereitet. Er lag reglos da, gewaschen, blass, rote Totenflecken an den Unterschenkeln und Füßen, an den Oberschenkeln, an den Händen und Unterarmen. Mit dem Zeigefinger drückte Max in das kalte Fleisch.
– Die Flecken bleiben rot.
– Und?
– Eigentlich müsste die Druckstelle kurz weiß werden.
– Nur wenn er gerade erst gestorben wäre.
– Ist er ja auch.
– Vor zwei, drei Tagen, schätze ich.
– Nein, er ist heute gestorben. Erfroren am Marktplatz.
– Das kann nicht sein.
– Natürlich, ich habe ihn selbst heute früh gefunden. Gestern saß er noch nicht auf der Bank, gestern muss er noch gelebt haben.
– Hat er nicht. Ich habe ihn heute Nachmittag da hingelegt, als er aufgetaut war. Und da war keine Leichenstarre. Also muss er schon länger tot sein als nur ein paar Stunden.
– Wie kommst du darauf?
– Die Leichenstarre löst sich nach zwei bis drei Tagen.
– Das kann doch alles nicht wahr sein.
– Doch, kann es.
– Wir müssen sofort etwas unternehmen, irgendetwas stimmt da nicht.
– Ich bin nur der Bestatter, ich mache ihn nur fertig für das Begräbnis.
Er zog Dennis an, er nahm seine Beine und steckte sie in eine Hose. Max sprang auf und rief nochmals Tilda an, bat sie, so schnell wie möglich zu kommen. Sie kam, sprach mit dem Bestatter, sah die Leiche an, telefonierte. Dann nahm sie Max mit nach Hause und kochte Suppe.
– Das wird sich alles aufklären, Max.
– Er ist mindestens zwei Tage tot. Und das heißt, dass er sich nicht in der Nacht auf die Bank gesetzt und totgesoffen hat. Er war schon tot, als ihn jemand auf die Bank gesetzt hat. Jemand hat ihn umgebracht.
– Langsam, langsam.
– Es muss so gewesen sein. Wie sonst?
– Das muss alles noch lange nichts heißen, Max. Ich werde morgen bei der Gerichtsmedizin nachfragen, ob die Erfrierung Einfluss nimmt auf die Totenstarre. Das kann doch sein. Es gab keinen Hinweis auf Fremdeinwirkung.
– Niemand hat ihn untersucht. Unsere Dorfbullen wollten keine Arbeit, sie haben ihn schnell von der Straße geschafft. Zu schnell.
– Der Arzt hat den Tod durch Erfrieren festgestellt.
– Der Arzt hat einen Zettel ausgefüllt, mehr nicht.
– Ich kann vorläufig nichts tun, Max, das sind alles nur Vermutungen. Es gibt keinen Beweis dafür, dass ein Verbrechen vorliegt. Nur aufgrund der Totenstarre lässt ihn kein Staatsanwalt der Welt obduzieren.
– Wenn er schon zwei Tage tot ist, wo war er dann in der Zwischenzeit? Tilda, dem Jungen ist etwas zugestoßen. Deshalb hat er das Telefon nicht abgehoben, deshalb ist er nicht zur Arbeit gekommen, das stimmt alles zusammen. Er hat sich nicht besoffen, er hat sich die Schuhe nicht selbst ausgezogen. Das hat jemand für ihn getan, damit es wie ein Unglück aussieht, tragisch, aber vorhersehbar. Weil es nicht anders hat enden können mit dem Buben.
– Ich habe ja schon gesagt, ich werde mit der Gerichtsmedizin sprechen.
– Das ist zu wenig. Du musst ihn aufschneiden lassen, du musst herausfinden, wie lange er schon tot ist, ob er Alkohol im Blut hatte. Bitte.
– Ich werde mich darum kümmern.
– Nehmen wir einmal an, er ist schon zwei Tage tot. Kurz nur, bitte, spiel es mit mir durch. Wie ist er gestorben, wenn er nicht erfroren ist? Warum ist er gestorben? Wer hat ihn auf den Dorfplatz gebracht? Und warum?
– Du gehst mir langsam auf die Nerven, Max. Ich mache meinen Job jetzt schon sehr lange, ich weiß, was ich zu tun habe.
– Vielleicht ist das ja zu wenig.
– Das reicht.
– Nein, das reicht nicht. Hier stimmt etwas nicht. Zuerst Marga und jetzt Dennis.
– Zum letzten Mal: Wir können vorläufig nichts tun.
– Willst du, dass ich ihn einfach eingrabe und der davonkommt, der das getan hat?
– Wir wissen nichts, Max, gar nichts. Ich
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