Die Schöne und der Werwolf - Warren, C: Schöne und der Werwolf - She's no Faerie Princess (Others 02)
auf deine Version zutrifft?«, wollte Fiona wissen. Es schmeckte ihr nicht, dass ihr Volk plötzlich als die Bösewichte bei der ganzen Sache dastehen
sollte. Selbst wenn Rule ihr Männchen gerettet hatte, gab ihm das noch lange nicht das Recht, ihre Vorfahren in den Schmutz zu ziehen.
»Aber würde nicht jede Geschichte, die bei euch von Generation zu Generation weitergegeben wird, in ähnlicher Weise voreingenommen sein wie es deiner Ansicht nach die Geschichten sind, die meine Leute erzählen?«
»Gewiss«, gab er ihr mit einem leisen Lächeln recht.
»Aber ich habe ja vorgeschlagen, dass ich die Geschichte so erzähle, wie ich sie sehe, damit wir dann vielleicht erkennen werden, dass die Wahrheit sich irgendwo in der Mitte findet.«
»Gut, dann erzähl uns deine Variante«, sagte Rafael. Er klang irgendwie müde.
»Wir werden dann sehen, was wir daraus machen.«
»Die Kurzfassung beginnt ungefähr so: Vor sehr, sehr langer Zeit, als die Menschen gerade erst zu begreifen begannen, dass die Welt um sie herum aus mehr bestand als aus dem hungrigen Knurren ihrer Mägen und der beißenden Kälte auf ihrer Haut, lebten alle Wesen noch zusammen hier in Obererde.« Mit der Finesse eines geübten Geschichtenerzählers war er sofort in seinem Text drin, und seine sonore Stimme trug das Ihre dazu bei, dass sein Publikum ihm wie gebannt lauschte.
»Feen und Elfen errichteten ihre glitzernden Königreiche an den grünsten Plätzen, die sie finden konnten. Wälder und Felder waren die Jagdgründe der Gestaltverwandler. Die Menschen, von denen es damals noch sehr wenige gab, fristeten ihr karges Leben als Jäger und Sammler. Selbst meinesgleichen, also diejenigen, die ihr heute Dämonen nennt, konnte sich ungehemmt bewegen, und wir überbrachten Neuigkeiten vom einen Ende der Welt zum anderen. Und
inmitten von alledem war alles von Magie durchströmt; sie war wie ein alles verbindender Fluss.«
Er verzog kummervoll das Gesicht.
»Natürlich war das kein Paradies. Es gab durchaus Streit und Zank, wie es ihn immer geben wird, wenn irgendwo verschiedene Kulturen Seite an Seite miteinander leben, aber von Krieg konnte keine Rede sein. Das kam erst später.
Es dauerte nicht lange, bis die Menschen anfingen, das zu tun, was sie am besten können: sich zu vermehren. Hatten sie während der frühen Jahre nur eine kleine Minderheit dargestellt, so begannen sie sich nun überall zu verbreiten, und sie gewannen auch an körperlicher Kraft, indem sie sich Kenntnisse von Ackerbau und Viehzucht aneigneten. Sie wagten sich an Orte vor, wohin sonst nie einer von ihnen einen Fuß gesetzt hatte, was manche von uns mit Beunruhigung zur Kenntnis nahmen.«
Fiona lauschte der Erzählung von ihrem Sitzplatz auf Walkers Schoß aus mit einer gewissen Skepsis, aber sie machte keinerlei Anstalten, Rule zu unterbrechen.
»Die Elfen waren die Ersten, die ihre Sachen packten. In manchen Überlieferungen heißt es, die Menschen hätten sie wegen ihrer Zauberkunst ursprünglich für göttliche Wesen gehalten. Doch als die Menschen mehr und mehr rational zu denken begannen, kamen ihnen erste Zweifel daran. In besagten Überlieferungen wird hier der Zeitpunkt angesetzt, zu dem die Elfen und Feen beschlossen, sich in einer anderen Welt ein neues Zuhause zu schaffen.
Diese andere Welt boten sie zunächst auch den Gestaltverwandlern, also den Werwesen, als neuen Lebensraum an, aber die waren zu sehr dem Land und den Mondphasen verbunden und lehnten einen Umzug ab. Sie könnten sich ja ohne weiteres unter die Menschen mischen, sagten sie, und
würden sich gegen Angriffe schon zu verteidigen wissen. Die Dämonen hingegen wurden nie eingeladen, in dem nun Anderwelt genannten neuen Land zu leben.«
Wieder zuckten seine Mundwinkel nach oben, aber Fiona deutete das so, dass es mehr ein Lächeln des Bedauerns angesichts der von ihren gemeinsamen Vorfahren begangenen törichten Fehler andeuten sollte.
»Unseren Überlieferungen nach glaubten die Elfen, wir, also die Dämonen, wären es gewesen, die seinerzeit den Menschen deren ursprüngliche Verehrung der Elfen ausgeredet haben. Wie dem auch sei, und aus welchen Gründen auch immer – die Elfen luden die Dämonen nicht nur nicht in ihre neue Welt ein; sie verfügten sogar, dass es uns verboten sei, die Grenzen dorthin zu überschreiten. Das stieß den Angehörigen meines Volkes natürlich übel auf. Könnt ihr euch vorstellen, was diejenigen, deren Aufgabe in der Welt es gewesen war, als Boten zu
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