Die Schöne vom Nil
»ich fühle mich viel kräftiger als früher!«
Er winkte Leila noch einmal zu und ging dann rasch hinüber in sein Zimmer. Pernam und Mitchener folgten ihm. Erst in Herburgs Zimmer sprachen sie wieder.
»Was auch kommt«, sagte Herburg, »Harris steigt wieder ins Grab. Und wenn er nur in einen Quergang geht und sich dort hinsetzt, das Seil immer mehr zu sich zieht und so den Eindruck erweckt, er käme gut im Grab voran. Wir müssen Suliman noch unsicherer machen! In einer Stunde hat er mich ausgeschaltet, glaubt er. Ich bin sehr gespannt, wie er reagiert, wenn er merkt, daß die Forschungen trotzdem weitergehen. Wenn Suliman hinter allem steckt, dann muß er erneut zuschlagen!«
»Aber warum? Warum denn nur?« rief Mitchener. »Frank, was erwarten Sie denn in diesem Grab zu finden?«
»Das weiß ich noch nicht. Das heißt: Menesptah werden wir finden, früher oder später …«
»Ich pfeife allmählich darauf!«
»Warum haben Sie plötzlich diese Angst, Professor?«
»Ja … warum?« Mitchener humpelte zu einer Flasche Bier, die auf Herburgs großem Reisekoffer stand. Das Bier war warm, aber Mitchener trank es trotzdem. Eine wüstentrockene Kehle ist schlimmer als schales Bier …
»Ich habe immer den Kopf geschüttelt über die abenteuerlichen Berichte meiner Kollegen. ›Der Fluch der Pharaonen‹ … ›Geheimnisvolle Tode‹ … für alles gab es doch ganz simple Erklärungen! Verdammt, nun fühle ich, daß ich sechzig Jahre alt werden mußte, um zu begreifen, daß an diesen Geschichten etwas dran ist. Sie müssen doch zugeben: Was bisher an und in dieser Grabanlage geschehen ist, kann man doch nicht mehr als normal bezeichnen!«
»Aber es hat auch mit den Pharaonen sehr wenig zu tun.«
»Das behaupten Sie, Frank! Luisa zum Beispiel denkt da ganz anders! Was sie schon an Giften herausgeholt hat … Wissen Sie – ahnen Sie, was da noch in den Tiefen auf uns lauert? Diese Treppenfalle war nur ein Beispiel …«
»Ich werde daraus lernen«, sagte Dr. Pernam. »Ich werde jeden Schritt einen Meter im voraus abtasten.«
»Und dann fällt Ihnen plötzlich von oben was auf den Kopf!«
Frank Herburg blickte auf seine Uhr.
»Es wird Zeit«, stellte er fest. »Ich muß umwickelt werden. Harris, wo ist Ihre Pistole?«
»Hier.« Pernam lief nach nebenan und kam gleich zurück. Er gab Herburg eine kleine Pistole und drei gefüllte Magazine. »Das sind dreißig Schuß. Genug?«
»Im Notfall brauche ich nur einen.« Herburg legte sich aufs Bett und zog sich aus. »Nun wickelt mich mal schön ein, aber so, daß ich jederzeit an das Bandagenende herankomme.«
Er legte die Pistole und die Magazine auf seinen Bauch und nickte Pernam zu. »Ob Abdullah es bei Leila geschafft hat?«
Wie auf ein Stichwort ging die Tür auf, und Dr. ibn Hedscha kam herein. Er sah sehr blaß aus und sah wortlos zu, wie Herburg von Pernam bandagiert wurde.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Dr. Abdullah auf Herburgs fragenden Blick.
»Hat Leila getobt?«
»Bei Allah, fragen Sie mich nicht danach.« Abdullah wischte sich über das Gesicht. »Als sie merkte, was wir mit ihr vorhaben, wurde es ein regelrechter Kampf! Stellen Sie sich vor: Ein Vater fesselt seine Tochter mit Mullbinden, und die Tochter schreit ihm die wüstesten Beschimpfungen entgegen. Wie ein Fisch ist sie immer wieder hochgeschnellt, aber sie hatte die Arme schon fest am Körper gewickelt … und so konnte sie nichts mehr tun als schreien und sich mit dem Leib wehren. Dann lag sie ganz still. Ich wickelte die letzte Binde um sie, da sagte sie ganz ruhig zu mir: ›Wenn Frank nicht wiederkommt, hast du keine Tochter mehr!‹ – Und das einem liebenden Vater! Es zerreißt einem das Herz!«
»Und was tut sie jetzt?« fragte Herburg.
»Sie kann nichts mehr tun. Damit sie keinen Alarm schlägt, habe ich ihr ein Mulltuch vor den Mund gebunden. Es war schrecklich. Der Vater foltert seine Tochter! Und ich habe es doch nur getan, damit Leila nicht mit Ihnen noch einmal in tödliche Gefahr kommt. Aus Liebe habe ich es getan … Ich frage nur, wie soll es weitergehen? Wir können sie doch nicht tagelang gefesselt halten …«
»Das ist es!« Mitchener reichte Pernam die Bandagen zu, mit denen dieser Herburg umwickelte. »Sobald sie befreit ist, wird sie zu Suliman rennen! Was wir hier tun, ist der reine Blödsinn!«
»Ich brauche drei, vier Tage Zeit, mehr nicht«, sagte Herburg.
»Wenn ich das höre! Vier Tage!« rief Dr. Abdullah. »Ich kann Leila doch nicht vier Tage
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