Die Schöne vom Nil
verstand die Welt nicht mehr. Er wollte etwas fragen, da boxte ihn Pernam kurz in den Bauch, und Toc-Toc schluckte seine Frage hinunter. Er half sogar jetzt mit, Dr. Herburg in den Wagen zu schieben, und senkte den Kopf, als die Hecktüren zuschlugen.
Die beiden Männer in den weißen Krankenhausmänteln setzten sich auf die Vordersitze und warteten.
»Fahren Sie ab!« sagte Mitchener heiser. »Wir haben uns schon verabschiedet.«
»Mein armer guter Doktor …«, stammelte Toc-Toc.
»Halt's Maul!« flüsterte Dr. Pernam hinter ihm.
»Muß er sterben?«
»Bestimmt. Wie wir alle.«
»Bald?«
»Wenn er Glück hat – in vierzig Jahren …«
»Aber er ist doch …«
Toc-Toc starrte dem Fahrzeug nach, das langsam anfuhr und kaum Staub aufwirbelte. Vorsichtig rollte es über die Straße.
Pernam zog Toc-Toc mit sich fort.
»Kannst du schweigen?« fragte er den Fellachen.
»Wie diese Steine, Mr. Pernam.«
»Ich auch! Sind wir uns einig?«
»Ja …«, sagte Toc-Toc. »Ich verstehe zwar nichts …«
»Das ist gut so, Toc-Toc. Das ist sehr gut!«
Harris Pernam blickte auf seine Uhr, während der Range Rover auf die Straße zum Nil abbog. »In zwei Stunden steige ich in das Grab. Laß alles vorbereiten …«
Der Krankentransport rollte langsam am Nil entlang. Die Straße war recht belebt … Lastwagen, Privatwagen, Omnibusse mit Touristen, Radfahrer und sogar eine Polizeistreife auf Motorrädern.
Es war die breite Hauptstraße von Kairo nach Assuan, die jeder Ägyptenbesucher kennt und schon einmal entlanggefahren ist. Der Stolz Ägyptens …
Trotzdem geschah an diesem Vormittag auf ihr etwas Ungeheuerliches, etwas, was eigentlich ganz undenkbar war:
Zwei Kilometer hinter Sakkara überholten zwei Motorradfahrer den Range Rover, setzten sich rechts und links von ihm und feuerten plötzlich aus Maschinenpistolen von ihren Sätteln auf die beiden weißgekleideten Fahrer.
Der schwere Range Rover schleuderte, der rechte Motorradfahrer enterte den Wagen, riß die Tür auf, drehte den Zündschlüssel herum und lenkte den Wagen an den Straßenrand.
Dort kam er zum Stehen; der zweite Mann riß die linke Tür auf, zerrte den Toten heraus und warf ihn einfach auf die Straße. Der rechte Mann kippte den zweiten Fahrer von seinem Sitz und ließ ihn hinausfallen. Dann schlugen sie die Türen zu und rasten mit dem Range Rover davon.
Das alles geschah so schnell, daß die Fahrer von zwei vorbeifahrenden Lastwagen, ein Omnibus mit schwedischen Touristen und der Marmeladenvertreter Mohammed ibn Hassan in seinem alten Ford sich erst darüber klarwurden, was sie gesehen hatten, als der Range Rover schon quer über die Straße abgebogen und im Hinterland verschwunden war.
Mohammed ibn Hassan setzte zurück und bremste bei den beiden Toten in den blutbefleckten weißen Krankenhausmänteln.
Plötzlich barst die Straße von Fahrzeugen, alles bremste und starrte auf die beiden Erschossenen. Der Verkehr brach zusammen.
Als endlich von weitem das Heulen der Polizeisirene ertönte und sich drei Polizisten auf Motorrädern durch die massive Mauer der Schaulustigen zwängten, war der Range Rover schon längst in der Weite des Landes verschwunden.
Auf Nebenwegen fuhr er sehr schnell durch die fruchtbare Nilniederung, schlug einen Bogen und kehrte über holprige Pfade nach Sakkara zurück. Dort blieb er eine Stunde lang im Schatten kleinerer Felsen stehen und rollte dann wieder in das Niltal hinein.
Das wäre es also, dachte Frank Herburg, immer noch auf der Trage festgeschnallt und ohne Bewegung. Es läuft alles anders, als ich gedacht habe. Mein Kompliment, Suliman … ich bin in die Falle getappt wie ein blinder Bär …
X
Ein anderes alarmierendes Ereignis löste in Kairo Großalarm aus. Die Polizei war schon durch den dreisten Überfall auf der Nilstraße fassungslos, da entdeckte Toc-Toc zwei Stunden nach dem Abtransport Dr. Herburgs – in Sakkara wußte man noch nichts von den dramatischen Minuten am Nil – neben dem freigelegten Grab ›Horus Aha‹ die Leiche Salimahs.
Es war reiner Zufall.
In dieser Gegend hatte Toc-Toc an sich nichts zu suchen, die Grabanlage des Menesptah lag viel weiter südlich. Aber einer der Fremdenführer, Hassan ibn Golimar, der sonst die Touristen, die aus den Reisebussen ausgespuckt wurden, in der Totenstadt herumführte und mit leiernder Stimme in schlechtem Englisch die einzelnen Ausgrabungen erklärte und sich mit kichernden Ladys fotografieren ließ, hatte Langeweile. Sakkara war
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