Die schoenen Hyaenen
»Im Grunde bin ich längst reif für die Psychiatrie, aber du wirst schon wissen, was ich damit andeuten wollte.«
Lila verließ den Platz auf dem Kissen und setzte sich auf einen Stuhl vor dem Toilettentisch. Sie starrte in den dreiteiligen Spiegel und begann, ihr verfilztes, rotes Haar zu bürsten, das sonst so schön seidig war. »Was ich nicht verstehe«, sagte sie, »ist, daß meine eigene Mutter absolut keine Rücksicht auf meine Gefühle nimmt. Sie hat mich zu dieser Verlobung offenbar nicht meinetwegen gedrängt.«
Tante Robbie hatte seinen Platz am Fenster verlassen. Er saß nun mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Bett und wippte mit einem berollschuhten Fuß auf und ab.
»So was nennt man Narzissmus«, antwortete Robbie. »Ich kenne deine Mutter schon sehr lang, und ich liebe sie auch, aber gemocht habe ich sie nicht immer. Immerhin mußt du daran denken, Lila, daß es Gründe gibt, warum die Menschen so sind, wie sie sind. Weißt du etwas über ihre Kindheit?«
»Verschon mich mit diesem Schwachsinn. Müssen wir jetzt darüber sprechen, wie sie zu ihrem ersten Vorsprechen in L.A. barfuß durch den Schnee stapfte?« wehrte Lila sich gereizt.
»Weißt du, man kann nur eine gute Mutter oder ein guter Vater sein, wenn man selbst gute Eltern hatte. Die hatte deine Mutter nicht. Darum hat sie dich so großgezogen, wie sie ihre Karriere aufgebaut hat: Indem sie sich auf den Hosenboden setzte und sich anstrengte.« Lila stand wütend auf und wollte zur Tür gehen. Robbie hielt sie zurück. »Jetzt wartest du gefälligst. Glaubst du denn, daß du ein Kind besser erziehen kannst als sie es gemacht hat, Lila? So, wie du aufgewachsen bist?«
»Ich werde keine Kinder haben.«
»Aber wenn du welche hättest?«
»Ich denke mir, daß ich es besser machen würde«, behauptete Lila.
»Eben. Das hat auch Theresa gedacht. Und sie hat es auch besser gemacht als ihre Eltern.« Robbie stand auf. Er rollte wieder zum Fenster und öffnete es. Im Garten reinigte sein Liebhaber Ken den Swimmingpool. Ken trug nur einen winzigen fleischfarbenen Badeslip. Robbie rief Ken zu: »Mary, hab ich dir nicht schon hundertmal gesagt, du sollst nicht diesen Fetzen anziehen? Du siehst ja grotesk aus.« Robbie wandte sich wieder Lila zu.
Die mußte lächeln. Ken fuhr mit dem Poolsauger langsam über die Wände des Beckens, als hätte er Robbie nicht gehört. Er war nicht allein. Doch Lila konnte nicht sehen, wer ihm Gesellschaft leistete.
»Sieh dir das an, Lila!«
»Als hätte ich Ken nicht schon mehr als einmal in dieser Badehose gesehen! Laß ihn doch in Ruhe. Der hört sowieso nie auf dich. Das weißt du genau.« Sie musterte Robbies Aufmachung kritisch und lachte. »Und du sagst, er sähe grotesk aus? Was ist denn mit dir?«
»Du sollst dir nicht Ken ansehen, sondern das Mädchen, das auf der Liege sitzt und mit Ken spricht.«
»Du meinst das kleine schwarze Kind?« fragte Lila.
»Das ist Simone Duchesne, Star der Fernsehshow Opposites Attract . Gegensätze ziehen sich an. Und sie ist kein Kind. Sie ist zweiundzwanzig.«
»Das ist Simone Duchesne? Ich dachte Simone sei so alt wie das Kind, das sie spielt, etwa sechs oder sieben.«
Robbie seufzte. »Ja, das glauben alle. Sie sieht nur wie ein Kind aus. Sie hat einen gutartigen Tumor an ihrer Nebennierenrinde. Dadurch wurde ihr Wachstum gebremst. Man hätte den Tumor leicht chirurgisch entfernen können, nachdem er entdeckt worden war. Doch ihre Eltern, die Simone auch managen, haben die Operation abgelehnt. Nun ist es zu spät.«
»Warum?« fragte Lila, doch ein ungutes Gefühl in der Magengrube sagte ihr, daß sie die Antwort schon kannte.
»Angeblich, weil sie kein Geld für die Operation hatten. Doch wäre Simone normal gewachsen, wäre sie zu groß für die Fernsehrolle geworden. Die Eltern entschieden sich für das Geld.«
»Armes Kind, ich meine, arme Frau.« Lila fröstelte. »Ist sie nun hinter Ken her?«
»Nein, nein. Sie ist geschlechtslos«, stellte Robbie richtig. »Auch das haben ihr die Eltern genommen, indem sie die Operation ablehnten. Simone hat sich Ken angeschlossen und folgt ihm wie ein Hündchen. Du weißt ja, wie gut Ken zuhören kann. Sie haben sich bei einer Show kennengelernt. Ken machte die Beleuchtung. Sie wird nie für eine andere Rolle einen Vertrag bekommen. Was für ein Leben!«
Lila schwieg tief betroffen.
»Es gibt Schlimmeres, als das Kind eines Stars zu sein. Zum Beispiel: Kinderstar zu sein. Simones geldgierige Eltern haben
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