Die schoenen Muetter anderer Toechter
begonnen hatte und die nun langsam zu Hause auf dem Holzpferdchen, das neben meinem Bett als Nachttisch diente, einstaubte. Irgendwie keimte in mir der Verdacht, dass die schicksalhafte Begegnung in der letzten Woche in meinem Leben womöglich noch so einiges durcheinanderbringen könnte. Vorausgesetzt SIE würde heute Abend hier auftauchen.
»Michelin«, raunte Frauke da und zupfte zaghaft am Ärmel meines feinen Gehrocks. »Ich werde angestarrt.«
»Frederike ist inzwischen ziemlich bekannt. Wenn sie bei dir steht, wird es immer ein paar Neugierige geben, die dich anglotzen«, erklärte ich lapidar, fragte aber sicherheitshalber doch nach: »Von wem denn?«
Frauke deutete mit dem Kopf nach rechts, und ich blinzelte unauffällig an ihr vorbei. Ein paar Meter weiter lehnte eine junge Frau an der Wand, die jetzt allerdings scheinbar entspannt zur Tanzfläche sah. Ich runzelte die Stirn. Sie kam mir irgendwie bekannt vor … Aber sie war viel zu jung, um aus meinem Bekanntenkreis zu stammen. Vielleicht sah sie auch nur jemandem ähnlich?
Ich sah lange genug hin, um mitzubekommen, wie die junge Frau aus dem Augenwinkel immer mal wieder zu Frauke herüberschielte. Meine Freundin hatte eine feine Antenne für so was. Mir wäre eine so diffuse Anhimmelei bestimmt nicht aufgefallen.
»Lächle sie einfach mal an«, schlug ich Frauke vor, die entsetzt den Blick auf ihre Schuhspitzen heftete.
»Wisst ihr was?«, sagte Frederike da und klopfte mir auf den Rücken. »Ich mach wieder die Flatter. Das Ganze hier deprimiert mich. Ich hätte doch nie einen Szeneroman geschrieben, wenn ich die Leute, die Schuppen und das ganze Drumherum nicht doch irgendwie lieben würde, oder? Aber ich schwöre euch: Dies wird mein letzter Roman über die Lesbenszene im Ruhrgebiet gewesen sein. Ich kann es nicht leiden, wenn meine Geschichten einfach so verschwinden.« Sie gab mir einen Kuss, reichte Frauke die Hand, und während ich noch um eine Mut machende gescheite Antwort rang, ging sie bereits.
Ich sah Frederike nach, wie sie sich durchs Gewimmel Richtung Ausgang davonschob. Wie viele Flirts hatte sie hier bestanden? Wie vielen Gerüchten widerstanden? Wie oft war sie durch diese Tür gekommen in Erwartung auf einen ganz besonderen Abend, an dem etwas ganz Spezielles passieren würde? Sie kannte die Szene so gut, liebte sie und verachtete sie auch manchmal. Und jetzt wurde ihr dieses intime Verhältnis zum Verhängnis.
Ich seufzte, unhörbar für alle um mich herum, und wollte mich gerade wieder zu Frauke umwenden, da ging in der Nähe der Tür das Licht an. Es war ein so strahlend helles Licht, dass ich für einen Moment meine Augen schloss. Ich hatte Angst vor einer Blendung. Ich hatte Angst, womöglich dann nicht mehr sehen zu können, was ich gerade erblickt hatte. Es war eines dieser kleinen Wunder, die einem nur allein gewahr werden können. Niemand sonst drehte sich um oder starrte gebannt hinüber. Nur mir zeigte sich dieser zauberhafte Schein. Mit einem Schlag richtete sich ein Spot in diese dunkle Ecke, auf eine Person, die dort derart unauffällig stand, dass ich sie bisher noch nicht bemerkt hatte. SIE war da!
Und SIE sah so unverändert schön aus, dass ich fast vergaß, dass eine Woche vergangen war. Immer noch das weich fallende dunkle Haar, das sie immer mal wieder hinter ihre hübschen Ohren strich. Die schwarzen Augen, die ruhelos wanderten und suchten und niemals ihr Ziel fanden. Ihre Wangenknochen zeichneten sich unter der zarten Haut ab wie von einer großen Künstlerin modelliert. Ja, SIE war wieder da. Hätte ich nicht im gleichen Augenblick ein wenig auf meinen Krücken geschwankt, hätte ich an eine Zeitreise geglaubt, sssrrrrt, um sieben Tage zurück. Nur ihre Kleidung hatte sich geändert. Doch da Klamotten für mich im Grunde unwesentlich waren, schenkte ich ihnen selten Beachtung … es sei denn, sie enthüllen mehr, als sie verdecken. Und das schwarze T-Shirt, das SIE trug, gehörte eindeutig in diese Kategorie. Es war kurz genug, um etwas von ihrem Bauch zu zeigen. Etwas? Nun, um genauer zu sein: Ihr hellhäutiger Bauch mit dem formschönen Nabel vermochte mich schon durch eine einzige Sekunde in tiefste Verwirrung zu stürzen. Als ich jedoch nach dieser ersten Sekunde erkannte, dass sie direkt neben dem Nabel ein filigranes Tattoo trug, musste ich die Krücken fester umfassen. Ich fühlte mich plötzlich sehr schwach.
Seit Jahren hatte ich für den geradezu krankhaften Körperkult, der aus dem schwulen
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