Die schoenen Muetter anderer Toechter
vorwurfsvoll an und trat hinter ihr ein.
Lena saß immer noch im Sessel und tat so, als würde sie mit schief gelegtem Kopf die Titel im Bücherregel lesen. Genau so hatte sie auf dem Schwof neulich alle Infozettel und sogar die Verzehrkarte gründlich studiert. Dieser Anblick von krampfhaft zur Schau gestellter Gelassenheit haute mich um. Es traf diesen gewissen Punkt in mir, dessen Stimulation in meiner Kindheit beim Anblick von kleinen Lämmchen auf der Wiese zu den unvermeidlichen »Oh, – wie – süüüüß!«-Kreischern geführt hatte. Vor derartigen Ausrutschern schützte mich heute glücklicherweise eine große Portion Selbstdisziplin.
Ellen schmunzelte und klopfte betont forsch an die Tür zum Wohnzimmer, die weit auf stand.
Lena spielte die Überraschte: »Oh, hallo. So viel Besuch. Ich habe dich vorhin gar nicht gefragt, ob du überhaupt Zeit hast, Michelin.«
Wie gern hätte ich irgendetwas erfunden, das Jackie und Ellen nur kurz abholen wollten, während sie selbstverständlich gleich weitermussten. Leider war ich zu gut erzogen, um meine Freundinnen auf solche Art abzuservieren.
»Wir haben nachher noch etwas zu besprechen. Nichts Wichtiges. Du kannst also gern noch etwas bleiben«, antwortete ich ihr. »Das hier sind Ellen und Jackie. Das ist Lena.« Mein Handbewegung in Richtung Sessel geriet etwas zu pathetisch. Doch das schien niemandem aufzufallen.
»Ich mach uns einen Kaffee«, schlug Ellen vor und verschwand in der Küche.
Jackie setzte sich aufs Sofa, und ich konnte ihrem verkrampften Körper förmlich ansehen, wie viel Anstrengung es sie kostete, Lena weder anzustarren, noch sie mit Fragen zu bombardieren. Sie saß dort wie ein frisch aufgerolltes Jo-Jo, das nur darauf wartete, loszuschnacken.
Lena, mit übereinandergeschlagenen Beinen, wusste nichts von der unmittelbaren Gefahr, in der sie schwebte. Sie bedachte Jackie mit einem freundlichen Blick unter ihren langen, schwarzen Wimpern. Es fehlte nur noch, dass sie höflich gefragt hätte: »Kommen Sie öfter hierher?«
»Auf den Straßen ist heute die Hölle los!«, begann Jackie, die den Schnabel nicht länger halten konnte. Ihre aufgestaute Anspannung entlud sich in der Schilderung einer langen und komplizierten Geschichte, in der vorfahrtsschneidende Mofafahrer, eine Straße überquerende Katze und ein minderjähriges Mädchen hinter dem Steuer eines Kleinbullis eine Rolle spielten. Lena lachte bei jedem der eingestreuten Witze und stachelte damit Jackie zu Höchstleistungen an. Ellen stand mit säuerlicher Miene in der Tür und wartete darauf, dass der Kaffee durchlaufen würde.
»Wenn ich dir so zuhöre, Jackie, werde ich es mir bestimmt nachher überlegen, ob ich noch einmal auf deinem Beifahrersitz Platz nehmen werde«, sagte sie und schwang herum, um uns aus der Küche Tassen zu holen.
»Nur kein Neid«, rief Jackie ihr nach. »Ich kann nichts dafür, dass ich solche irren Geschichten erlebe. Ach, übrigens, welches Sternzeichen bist du?«
Lena schaute verblüfft, antwortete aber gehorsam: »Skorpion.«
Jackies Augen weiteten sich entsetzt. ›Lass sie jetzt bloß nicht mit ihrem Astro-Kram anfangen! Skorpione hat sie doch immer so auf dem Kieker!‹, ließ ich ein Stoßgebet los und nahm mir vor, mich demnächst mal in die Satzungen der verschiedenen Religionen einzulesen. Danach könnte ich mich vielleicht für eine von ihnen entscheiden, damit ich nicht weiterhin derartige sekundenschnelle Bitten ziellos ins Universum hinausschicken musste.
»Mein Aszendent ist aber Fische. Das lotet bei mir einiges aus. Ich scheine mich sehr in die Richtung meines Aszendenten zu entwickeln. Glück gehabt, oder?« Lena zwinkerte Jackie zu, und mir wurde klar, dass sie zwar neunzehn, aber bestimmt kein Kleinkind mehr war. Sie hatte genau heraus, dass Jackie sie auf irgendwelchen Skorpioneigenschaften festnageln wollte.
Ich feixte.
»Dann geh ich mal wieder. War wirklich schön, dich kurz gesehen zu haben«, sagte Lena und sprach mir aus der Seele. »Das mit der Wohnungsführung machen wir dann ein andermal, okay?«
»Okay«, hauchte ich, betört von der Vorstellung, sie noch mal in meiner Wohnung begrüßen zu dürfen. Und noch mal. Und noch mal.
Ich begleitete sie zur Tür und empfand ihre körperliche Anwesenheit in dieser vertrauten Umgebung als aufregend und beruhigend zugleich. Natürlich hatte sie keine Ahnung, wie oft ich sie inzwischen vor meinem geistigen Auge durch diesen Flur hatte gehen sehen. Doch ihr Astralleib hatte
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