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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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gemacht zu werden. Sie sind nichts Angenehmes, das einem passiven Ich widerfährt – sie sind eine Mauer, gegen die ein aktives Ich anrennt. So hüllte ich mich in meine, wie ich glaubte, unverwundbare Skepsis ein und befand, dass mein Bildungsroman abgeschlossen sei. Aber es war schon zu spät. Ich mochte mich noch so sehr vorsehen, indem ich keine neuen Bindungen mit der [333] tragischen und zum Untergang bestimmten Menschheit einging – ich war genauso verloren wie alle anderen auch. Den Kampf gegen die Liebe hatte ich mit dem Kampf gegen die Einsamkeit vertauscht, den Kampf gegen das Leben mit dem Kampf gegen den Tod.«
    Er unterbrach sich, um seiner letzten Bemerkung Nachdruck zu verleihen – nach einer Weile gähnte er und nahm den Faden wieder auf.
    »Ich nehme an, die zweite Phase meiner Bildung nahm ihren Anfang mit einer entsetzlichen Unzufriedenheit: dass ich mich gegen meinen Willen für ein unergründliches Vorhaben missbrauchen ließ, dessen Endzweck mir unklar war– wenn es denn einen Endzweck gab. Ich stand vor einer schwierigen Wahl. Die Schullehrerin schien zu sagen: ›Wir spielen Football und nichts als Football. Wenn du nicht Football spielen willst, darfst du überhaupt nicht spielen…‹
    Was sollte ich tun – die Spielzeit war so kurz!
    Seht ihr, ich hatte das Gefühl, dass uns sogar der Trost vorenthalten wurde, welcher in der Erfindung eines Kollektivmenschen bestehen könnte, der sich von den Knien erhebt. Glaubt ihr etwa, ich hätte mich aus freien Stücken auf diesen Pessimismus gestürzt, ihn an mich gerissen wie ein hübsches, selbstgefälliges höheres Wesen, eigentlich nicht bedrückender als, sagen wir, ein grauer Herbsttag an einem Kaminfeuer? – Ich glaube nicht. Dafür war ich viel zu hitzig und lebhaft.
    Denn es schien mir, dass es für den Menschen keinen Endzweck gibt. Der Mensch hat einen grotesken und konfusen Kampf mit der Natur aufgenommen – mit einer Natur, die uns aufgrund eines göttlichen und herrlichen Zufalls dahin [334] gebracht hat, dass wir ihr trotzen können. Sie hat Mittel und Wege ersonnen, wie sie die Menschheit von den Minderwertigen befreien und den übrigen die Kraft schenken kann, ihre höheren – oder sagen wir: ergötzlicheren –, wenn auch immer noch unbewussten und zufälligen Absichten zu erfüllen. Doch angetrieben von den höchsten Gaben der Aufklärung, trachten wir, ihr zuwiderzuhandeln. In dieser Republik sah ich, wie die Schwarzen sich allmählich mit den Weißen vermischen – in Europa gab es eine wirtschaftliche Katastrophe, die drei oder vier kranke und miserabel regierte Völker ausgerechnet vor der einen Herrschaft bewahrte, die ihnen zu materiellem Wohlstand hätte verhelfen können.
    Wir bringen einen Christus hervor, der einen Aussätzigen rein macht – und mit einemmal ist die Brut der Aussätzigen das Salz der Erde. Wenn jemand daraus eine Lehre ziehen kann, so lasset ihn hervortreten.«
    »Aus dem Leben lässt sich ohnehin nur eine Lehre ziehen«, unterbrach ihn Gloria, nicht aus Widerspruchsgeist, sondern in einer Art schwermütiger Zustimmung.
    »Und die wäre?«, fragte Maury bissig.
    »Dass sich aus dem Leben keine Lehre ziehen lässt.«
    Nach kurzem Schweigen sagte Maury: »Die junge Gloria, die schöne und gnadenlose Dame, betrachtet die Welt mit jener grundlegenden Abgeklärtheit, die ich selbst nur mit Mühe erlangt habe, die Anthony niemals erlangen und die Dick nicht einmal voll verstehen wird.«
    Vom Apfelfass her kam ein unmutiges Murren. Anthony, der sich ans Dunkel gewöhnt hatte, konnte deutlich Richard Caramels gelbes Auge aufblitzen sehen und die [335] Verärgerung in seinem Gesicht lesen, als er ausrief: »Du bist ja verrückt! Du hast doch selbst gesagt, dass ich schon durch meine verschiedenen Versuche einiges begriffen hätte.«
    »Was denn für Versuche?«, rief Maury grimmig. »Etwa den Versuch, das Dunkel des politischen Idealismus mit einem wild-verzweifelten Streben nach Wahrheit zu durchdringen? Indem du Tag für Tag kraftlos und dem Leben unendlich entrückt auf einem harten Stuhl sitzt, durch die Bäume auf die Spitze eines Kirchturms starrst und versuchst, ein für allemal das Erkennbare vom Unerkennbaren zu scheiden? Indem du versuchst, dir ein Stück Wirklichkeit herauszugreifen und ihm aus dem Innern deiner Seele Glanz zu verleihen, um jene unbeschreibliche Qualität wiederherzustellen, die es im Leben besaß und die bei der Übertragung auf Papier oder Leinwand verlorenging? Indem du dich

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