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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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einer solchen Erde und der Helligkeit eines solchen Himmels vorbehalten sind.«
    Unter ihm wanderte ein angezündetes Streichholz von Zigarette zu Zigarette.
    Die Stimme fuhr fort: »Ich war geschickt im Foppen der Gottheit. Nach jedem Vergehen betete ich immer gleich, bis Gebet und Vergehen für mich schließlich eins wurden. Ich meinte, der Beweis, dass der Glaube tief in der menschlichen Brust verwurzelt ist, bestehe allein schon darin, dass jemand ›Mein Gott!‹ ausruft, wenn ein Tresor auf ihn stürzt. Dann kam ich auf die Schule. Vierzehn Jahre lang zeigte ein halbes Hundert ernster Männer auf alte Feuersteingewehre und rief mir zu: ›Das ist das einzig Wahre. Die neuen Gewehre sind doch nur seichte, oberflächliche Imitationen.‹ Sie verdammten die Bücher, die ich las, und die Gedanken, die ich hatte, indem sie sie unmoralisch nannten; später wandelte sich die Mode, und sie verdammten die Dinge, indem sie sie ›ausgeklügelt‹ nannten.
    Und so wandte ich mich, altklug, wie ich war, von den Professoren ab und den Dichtern zu – lauschte dem lyrischen Tenor Swinburnes und dem tenor robusto Shelleys, Shakespeare mit seinem ersten Bass und seinem großen Stimmumfang, Tennyson mit seinem zweiten Bass und seinem gelegentlichen Falsett, dem basso profundo Miltons und Marlowes. Ich hörte mir Brownings Geplauder, Byrons Deklamationen und Wordsworths Gebrummel an. Zumindest schadete mir das nicht. Ich lernte einiges über Schönheit – genug, um zu begreifen, dass sie nichts mit der Wahrheit zu [331] schaffen hat – und stellte darüber hinaus fest, dass es keine große literarische Überlieferung gab; es gab lediglich die Überlieferung vom ereignisreichen Tod aller literarischen Überlieferung…
    Dann wurde ich erwachsen, und die Schönheit frischer Illusionen fiel von mir ab. Die Fasern meines Geistes wurden gröber und meine Augen beklagenswert scharf. Um meine Insel stieg das Leben an wie ein Meer, und sogleich musste ich schwimmen.
    Der Übergang war subtil – die Sache hatte schon eine Zeitlang auf mich gelauert. Allen wird dieselbe scheinbar harmlose, aber heimtückische Falle gestellt. Und ich? Nein – ich habe nicht versucht, die Hausmeistersfrau zu verführen – ich bin auch nicht splitternackt durch die Straßen gerannt, um meine Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Eigentlich ist es nie die Leidenschaft, die so etwas tut – es ist nur das Kleid, das der Leidenschaft übergestreift wird. Ich langweilte mich – das war alles. Langeweile, ein anderer Name und nicht selten eine Maske der Vitalität, wurde zum unbewussten Beweggrund aller meiner Handlungen. Die Schönheit hatte ich ja hinter mir gelassen, versteht ihr? – Ich war erwachsen.« Er schwieg. »Ende der Schul- und Universitätsjahre. Es folgt des Bildungsweges zweiter Teil.«
    Drei ruhig glimmende Lichtpunkte zeigten den Standort seiner Zuhörer an. Inzwischen ruhte Gloria halb sitzend, halb liegend in Anthonys Schoß. Er hatte den Arm so fest um sie geschlungen, dass sie seinen Herzschlag hören konnte. Richard Caramel hockte auf seinem Apfelfass, hin und wieder rührte er sich und gab einen schwachen Grunzlaut von sich.
    [332] »Dann bin ich in dieses Land des Jazz hineingewachsen und verfiel sofort in einen Zustand fast hörbarer Verwirrung. Das Leben beugte sich über mich wie eine unmoralische Schullehrerin und schrieb meine geordneten Gedanken um. Doch in dem irrigen Glauben an die Intelligenz strampelte ich mich weiter ab. Ich las Smith, der die Wohltätigkeit verlacht und darauf beharrt, dass Hohn die höchste Form der Selbstdarstellung sei – doch Smith erhebt sich selbst und seine zwielichtige Art auf den Sockel, von dem er die Wohltätigkeit stürzte. Ich las Jones, der sich den Individualismus geschickt vom Hals schaffte – und siehe da! Auch Jones stand mir im Weg. Ich dachte gar nicht selbst – ich war ein Schlachtfeld für die Gedanken vieler anderer Männer; ich war eines dieser begehrenswerten, aber ohnmächtigen Länder, über die die Großmächte hinwegtrampeln.
    Ich meinte, Erfahrungen sammeln zu müssen, um mein Leben glücklich zu ordnen – doch nun erlangte ich die Reife. Ja, ich brachte das nicht ungewöhnliche Kunststück zuwege, jede Frage im Geiste zu lösen, schon lange bevor sie sich mir im Leben stellte – und trotzdem besiegt und verwirrt zu sein.
    Nachdem ich aber ein wenig von dieser letztgenannten Speise gekostet hatte, war ich es leid. Halt! sagte ich, Erfahrungen sind es nicht wert,

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