Die Schönen und Verdammten
lieblichen Dufts von Canadian Club.«
[327] Unter dem niedrigen Vordach war ein nervös rasselndes Lachen zu hören.
»Wie habt ihr uns denn nun wirklich aufgespürt?«
»Nun ja, wir sind auf der Straße hinter dir her, dann haben wir dich plötzlich aus den Augen verloren. Anscheinend bist du bei einer Wagenspur abgezweigt. Nach einer Weile hat uns jemand zugerufen und gefragt, ob wir ein junges Mädchen suchen. Wir sind hin und haben gesehen, dass es ein kleiner zitternder Alter war, der wie im Märchen auf einem umgestürzten Baumstamm saß. ›Die ist hier unten abgebogen‹, sagte er, ›und beinah auf mich draufgetreten, war in furchtbarer Eile, und dann ist ’n Kerl in ’ner kurzen Golfhose angerannt gekommen und ihr nach. Das hier hat er mir hingeworfen.‹ Der Alte wedelte mit einer Dollarnote herum…«
»Oh, der arme Alte!«, rief Gloria gerührt aus.
»Da hab ich ihm auch eine hingeworfen, und wir sind weiter, obwohl er uns bat, dazubleiben und ihm zu erklären, was das alles soll.«
»Der arme Alte«, wiederholte Gloria bedrückt.
Dick setzte sich verschlafen auf eine Kiste.
»Und jetzt?«, fragte er in einem Ton stoischer Resignation.
»Gloria ist ziemlich mitgenommen«, erklärte Anthony. »Wir fahren mit dem nächsten Zug in die Stadt.«
Im Dunkeln hatte Maury einen Fahrplan aus der Tasche gezogen.
»Zünd mal ein Streichholz an.«
Ein winziges Flämmchen zuckte aus dem undurchdringlichen Dunkel auf und beleuchtete die vier Gesichter, die [328] hier unter dem Nachthimmel grotesk und unvertraut wirkten.
»Lass sehen. Zwei, halb drei – nein, das ist am Nachmittag. Himmel, vor halb sechs werdet ihr keinen Zug kriegen.«
Anthony zögerte.
»Na ja«, murmelte er unsicher, »wir haben beschlossen, hierzubleiben und auf ihn zu warten. Ihr zwei könnt gern zurückgehen und euch schlafen legen.«
»Du auch, Anthony«, drängte ihn Gloria. »Ich möchte, dass du Schlaf findest, Lieber. Du warst schon den ganzen Tag über leichenblass.«
»Ach was, du kleiner Dummkopf!«
Dick gähnte.
»Sehr wohl. Wenn ihr bleibt, bleiben wir auch.«
Er trat unter dem Vordach hervor und musterte den Himmel.
»Immerhin eine recht schöne Nacht. Sternenklar und so. Ausgesprochen geschmackvolles Arrangement.«
»Lass sehen.« Gloria folgte ihm, und ihr die anderen beiden. »Lasst uns hier draußen sitzen«, schlug sie vor. »Das finde ich viel schöner.«
Anthony und Dick verwandelten eine längliche Kiste in eine Rückenstütze und fanden ein Brett, trocken genug, dass Gloria darauf sitzen konnte. Anthony ließ sich neben sie fallen, und Dick hievte sich mühsam auf ein Apfelfass daneben.
»Tana hatte sich zum Schlafen in die Hängematte auf der Veranda gelegt«, bemerkte er. »Wir haben ihn ins Haus getragen und ihn zum Trocknen neben den Küchenherd gelegt. Er war bis auf die Haut durchnässt.«
[329] »Dieser grässliche kleine Mann!«, seufzte Gloria.
»Guten Tag!« Die sonore Grabesstimme kam von oben, und als sie aufblickten, stellten sie zu ihrem Erstaunen fest, dass Maury das Vordach erklommen hatte, wo er nun saß; die Beine ließ er über den Rand baumeln. Vor dem inzwischen hellen Himmel wirkten seine schattenhaften Umrisse wie die eines grotesken Wasserspeiers.
»Es geschieht wohl solchen Anlässen zuliebe«, hob er sachte an, und seine Worte klangen, als schwebten sie aus einer ungeheuren Höhe herab und senkten sich sanft auf seine Zuhörer hernieder, »dass die Gerechten des Landes die Eisenbahn mit Anschlagbrettern ausstatten, die in Rot und Gelb ›Jesus Christus ist Gott‹ beteuern, und sie durchaus angemessen gleich neben die Anzeige ›Gunter’s Whisky ist gut‹ platzieren.«
Leises Gelächter kam auf, und die drei unten wandten ihre Köpfe nach oben.
»Ich glaube, unter diesen sardonischen Konstellationen sollte ich euch meinen Bildungsweg erzählen«, fuhr Maury fort.
»Au ja! Bitte!«
»Soll ich wirklich?«
Sie warteten gespannt, während er sinnend dem blass lächelnden Mond zugähnte.
»Also«, begann er, »als kleines Kind habe ich immer gebetet. Für den Fall künftiger Gottlosigkeit habe ich mir einen Vorrat an Gebeten angelegt. In einem Jahr habe ich neunzehnhundert Müde bin ich, geh’ zur Ruh’ auf Vorrat gebetet.«
»Wirf mal ’ne Zigarette runter«, murmelte jemand.
Eine schmale Schachtel fiel auf den Bahnsteig, [330] gleichzeitig gebot eine Stentorstimme: »Silentium! Ich bin dabei, euch viele denkwürdige Betrachtungen anzuvertrauen, die der Finsternis
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