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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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hohen, von frischem Wohlgeruch erfüllten Zimmer aufgewacht wäre, allein, innerlich und äußerlich statuenhaft, wie in ihrer jungfräulichen und farbenfrohen Vergangenheit.
    Im Innern des Taxis vergoss sie ohnmächtige Tränen. Es war nicht so bedeutsam, dass sie nun schon seit über einem Jahr mit Anthony nicht glücklich war. Seit kurzem konnte seine Gegenwart nicht mehr die Gefühle jenes denkwürdigen Junis in ihr heraufbeschwören. Der Anthony der letzten Zeit, reizbar, willensschwach und arm, bewirkte nur noch, dass sie ihrerseits reizbar wurde – und alles überdrüssig, nur nicht der Erinnerung an ihre höchst entflammbare und beredte Jugend, da sie zu einem ekstatischen Gefühlstaumel zusammengefunden hatten. Weil beider Andenken daran so lebhaft war, hätte sie für Anthony mehr getan als für jeden anderen Menschen – daher weinte sie leidenschaftlich, als sie in das Taxi einstieg, und wollte laut seinen Namen rufen.
    Elend, einsam wie ein vergessenes Kind, saß sie in dem stillen Apartment und schrieb ihm einen Brief voll verworrener Gefühle:
    Fast kann ich die Gleise entlangblicken und Dich davonfahren sehen, aber ohne Dich, Liebster, Liebster, kann ich nichts sehen, nichts hören, empfinden oder denken. Getrennt zu sein – was immer uns widerfahren ist oder widerfahren wird – ist wie die Bitte, von einem Sturm verschont zu bleiben, Anthony; es ist, als würde man alt. Ich möchte Dich so sehr küssen – auf den Nacken, wo Dein schwarzes Haar ansetzt. Weil ich Dich liebe – und was [466] immer wir einander tun oder sagen, getan oder gesagt haben, Du musst einfach spüren, wie sehr ich Dich liebe, wie leblos ich bin, wenn Du fort bist. Ich kann nicht einmal die verdammungswürdige Anwesenheit der Leute hassen, der Leute im Bahnhof, die kein Lebensrecht haben – nicht einmal ärgern kann ich mich über sie, auch wenn sie unsere Welt verschmutzen, weil ich nichts anderes im Sinn habe, als Dich zu wollen.
    Wenn Du mich hasstest, wenn Du mit Schwären bedeckt wärst wie ein Aussätziger, wenn Du mit einer anderen Frau durchbrennen würdest, mich verhungern ließest oder schlügest – wie albern das klingt –, ich würde dich immer noch wollen, immer noch lieben. Das weiß ich, mein Liebling.
    Es ist spät – ich habe alle Fenster geöffnet, die Luft draußen ist so weich wie der Frühling und doch irgendwie viel jünger und zerbrechlicher als der Frühling. Warum machen sie aus dem Frühling ein junges Mädchen, warum hopst und jodelt dieses Trugbild drei Monate lang durch die lächerliche Dürre dieser Welt? Der Frühling ist ein magerer alter Ackergaul, bei dem man alle Rippen zählen kann – er ist ein Haufen Abfall auf einem Feld, von Sonne und Regen zu verhängnisvoller Bleiche ausgedörrt.
    In wenigen Stunden wirst Du erwachen, mein Liebling – und wirst elend sein und des Lebens überdrüssig. Du wirst Dich in Delaware, Carolina oder sonstwo befinden. Ich glaube nicht, dass es einen Menschen gibt, der sich als etwas Vergängliches, als Luxus oder überflüssiges Übel begreift. Nur sehr wenige Menschen, die die [467] Sinnlosigkeit des Lebens betonen, bemerken die eigene Sinnlosigkeit. Vielleicht glauben sie, den eigenen Wert aufrechterhalten zu können, indem sie das Übel des Lebens verkünden – aber das gelingt ihnen nicht, nicht einmal Dir und mir…
    Ich kann Dich immer noch sehen. Über den Bäumen, an denen Du vorbeikommen wirst, liegt ein blauer Dunst, zu schön, sich in den Vordergrund zu schieben. Nein, am häufigsten werden die Vierecke falber Erde sein – wie verschmutzte, grobe braune Laken, die an der Sonne trocknen, liegen sie neben dem Bahndamm, belebt, mechanisch, verabscheuungswürdig. Die Natur, die schlampige alte Vettel, hat mit jedem alten Farmer, Neger oder Immigranten, der ihr nachstellte, darauf geschlafen…
    Siehst Du, jetzt, wo Du fort bist, habe ich einen Brief ganz voller Verachtung und Verzweiflung geschrieben. Und das bedeutet einfach, dass ich Dich liebe, Anthony, mit allem, was nur lieben kann in Deiner
    GLORIA
    Als sie den Brief adressiert hatte, ging sie zu ihrem Bett und legte sich darauf, dabei presste sie Anthonys Kissen in ihre Arme, als könnte sie es durch die bloße Kraft ihrer Gefühlsbewegung in seinen warmen, lebendigen Körper verwandeln. Um zwei Uhr waren ihre Augen wieder trocken; erfüllt von unablässigem, anhaltendem Kummer starrte sie ins Dunkel und erinnerte sich, erinnerte sich gnadenlos an hundert eingebildete Unfreundlichkeiten,

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