Die Schönen und Verdammten
Rachaels Blick auffing, erhielt sie einen unmissverständlichen Wink mit den Augen. Verwirrt schlussfolgerte sie, dass ihre Gastgeberin die Offiziere loswerden wolle, und ließ sich draußen bereitwillig in ein Taxi verfrachten.
Captain Wolf saß auf der linken Seite, Rachael auf seinem Schoß. Captain Collins saß in der Mitte, und nachdem er es sich bequem gemacht hatte, ließ er seinen Arm um Glorias Schultern gleiten. Dort ließ er ihn einen Moment lang leblos liegen, dann umklammerte er sie wie mit einem Schraubstock. Er beugte sich über sie.
»Sie sind bildhübsch«, flüsterte er.
»Danke vielmals, der Herr.« Sie war weder erfreut noch [474] verärgert. Bevor Anthony auf der Bildfläche erschienen war, hatten sich so viele Arme das Gleiche erlaubt, dass es wenig mehr als eine Geste war, gefühlsbeladen, doch ohne Bedeutung.
In Rachaels langgestrecktem Wohnzimmer spendeten nur ein schwaches Kaminfeuer und zwei mit orangenen Seidenschirmen bespannte Lampen Licht, so dass die Winkel in tiefem, schläfrigem Dunkel lagen. Die Gastgeberin, eine dunkle Gestalt, die sich in einer lockeren Robe aus Chiffon umherbewegte, schien die bereits sinnliche Atmosphäre noch zu erhöhen. Eine Weile lang saßen sie zu viert beisammen und kosteten von den Sandwiches, die auf dem Teetisch warteten – dann saß Gloria allein mit Captain Collins auf dem Sofa vor dem Kamin; Rachael und Captain Wolf hatten sich auf die andere Seite des Zimmer zurückgezogen, wo sie sich mit gedämpfter Stimme unterhielten.
»Ich wünschte, Sie wären nicht verheiratet«, sagte Collins, sein Gesicht eine lächerliche Travestie von »Das ist mein voller Ernst«.
»Wieso?« Sie hielt ihm ihr Glas hin, um sich einen Highball einschenken zu lassen.
»Bitte trinken Sie doch nicht mehr«, drängte er sie mit gerunzelter Stirn.
»Wieso nicht?«
»Sie wären netter – wenn Sie es sein ließen.«
Plötzlich verstand Gloria die beabsichtigte Anzüglichkeit der Bemerkung, die Stimmung, die er herzustellen wünschte. Sie wollte lachen – doch sie begriff, dass es nichts zu lachen gab. Sie hatte den Abend genossen, und sie hatte keine Lust gehabt, nach Hause zu gehen – gleichzeitig fühlte [475] sie sich in ihrem Stolz gekränkt, weil man mit ihr nur auf diesem Niveau flirtete.
»Schenken Sie mir ein«, beharrte sie.
»Bitte…«
»Ach, seien Sie doch nicht albern!«, rief sie gereizt.
»Na schön.« Widerwillig fügte er sich.
Dann legte sich wieder sein Arm um sie, und wieder erhob sie keinen Einspruch. Als sich jedoch seine rosige Wange näherte, entzog sie sich ihm.
»Sie sind furchtbar goldig«, sagte er mit beiläufiger Miene.
Leise fing sie an zu singen und wünschte, er würde seinen Arm entfernen. Plötzlich fiel ihr Blick auf eine intime Szene auf der anderen Seite des Zimmers – Rachael und Captain Wolf waren in einen langen Kuss vertieft. Gloria erschauerte leicht – sie wusste nicht, weshalb… Wieder schob sich das rosige Gesicht heran.
»Sie sollten nicht hinschauen«, flüsterte er. Gleich darauf schlang sich sein anderer Arm um sie… Sie spürte seinen Atem auf ihrer Wange. Einmal mehr triumphierte Lächerlichkeit über Ekel, und ihr Lachen war eine Waffe, die der Klinge der Worte nicht bedurfte.
»Ach, und ich dachte, Sie wären eine Genießerin«, sagte er.
»Was ist eine Genießerin?«
»Nun, jemand, der das Leben – der das Leben genießen möchte.«
»Wird ein Kuss von Ihnen gemeinhin als Genuss angesehen?«
Plötzlich standen Rachael und Captain Wolf vor ihnen, und sie wurden unterbrochen.
[476] »Es ist schon spät, Gloria«, sagte Rachael – sie war erhitzt und ihr Haar zerwühlt. »Du bleibst besser die Nacht über da.«
Einen Augenblick dachte Gloria, damit seien die Offiziere entlassen. Dann begriff sie, und da sie begriff, erhob sie sich so lässig, wie es ihr zu Gebote stand.
Verständnislos fuhr Rachael fort: »Du kannst das Zimmer nebenan haben. Ich kann dir alles leihen, was du brauchst.«
Collins’ Augen schauten sie hündisch flehend an; Captain Wolfs Arm hatte sich vertraulich um Rachaels Hüfte gelegt; sie warteten.
Doch die Lockungen der Promiskuität, farbig, abwechslungsreich, labyrinthisch und ein klein wenig abgestanden riechend, waren für Gloria weder Ruf noch Verheißung. Wäre ihr danach zumute gewesen, so wäre sie, ohne zu zögern, ohne zu bereuen, dageblieben; so aber konnte sie nur kühl in die sechs feindseligen, gekränkten Augen schauen, die ihr mit erzwungener Höflichkeit
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