Die Schönen und Verdammten
eine zerbrochene Flasche Champagner gegangen war. Maury hatte ihm gesagt, er solle sich erst einmal ausnüchtern, und Anthonys Gefühle waren so verletzt gewesen, dass er sich mit einer bemüht würdevollen Geste von der Tafel erhoben und Gloria am Arm gefasst hatte, so dass sie, halb gezwungen, halb beschämt, in ein draußen stehendes Taxi stieg. Maury war auf den drei bestellten Gerichten und auf Karten für die Oper sitzengeblieben.
[503] Halb tragische Fiaskos dieser Art waren so zur Gewohnheit geworden, dass er sich, wenn sie eintraten, nicht mehr bemüßigt fühlte, sie wiedergutzumachen. Erhob Gloria Einwände – und seit kurzem neigte sie eher dazu, in ein verächtliches Schweigen zu verfallen –, so erging er sich entweder in erbitterter Selbstverteidigung oder stapfte trübsinnig aus dem Apartment. Seit dem Zwischenfall auf dem Bahnsteig von Redgate hatte er im Zorn kein einziges Mal mehr Hand an sie gelegt – auch wenn ihn zuweilen nur noch irgendein Instinkt zurückhielt, was ihn wiederum vor Wut erzittern ließ. Sicher, so sehr wie sie liebte er niemanden, doch gab es auch niemanden, den er heftiger und häufiger hasste.
Bis dahin hatten die Richter des Appellationsgerichts es nicht vermocht, ein Urteil zu fällen, doch nach einer weiteren Vertagung bekräftigten sie schließlich den Spruch der niederen Kammer – zwei Richter gaben ein Minderheitenvotum ab. Er legte gegen Edward Shuttleworth Berufung ein. Der Fall würde vor die allerhöchste Instanz kommen, und wieder mussten sie eine nicht enden wollende Wartezeit auf sich nehmen. Sechs Monate, vielleicht ein Jahr. Die Sache war völlig unwirklich geworden, so fern und ungewiss wie das Himmelreich.
Im Lauf des Winters hatte sich eine kleine unbedeutende Frage zu einem subtilen und allgegenwärtigen Streitpunkt ausgewachsen – Glorias grauer Pelzmantel. Damals sah man auf der Fifth Avenue alle paar Meter Frauen, die in lange Fehe gehüllt waren. Die Frauen nahmen die Form von Brummkreiseln an. Sie wirkten obszön, wie Schweine; in der verhüllenden Üppigkeit, der animalischen Weiblichkeit [504] ihres Kleidungsstücks ähnelten sie Mätressen. Und dennoch – Gloria wünschte sich einen Mantel aus Grauwerk.
Als sie die Angelegenheit diskutierten – oder vielmehr, als sie sich deswegen stritten, denn mehr noch als im ersten Jahr ihrer Ehe nahm jede Diskussion die Form eines erbitterten Streitgesprächs an, voller Wendungen wie »und ob«, »wirklich ungeheuerlich«, »trotzdem, eins steht fest« und dem überaus entschiedenen »mir doch egal« –, kamen sie zu dem Schluss, dass sie das Geld nicht aufbringen konnten. Und so wurde der Mantel allmählich zum Sinnbild ihrer wachsenden finanziellen Sorgen.
In Glorias Augen war das Schrumpfen ihres Einkommens ein bemerkenswertes Phänomen, unerklärlich und beispiellos – dass so etwas im Laufe von nur fünf Jahren passieren konnte, schien fast eine absichtliche Grausamkeit, erdacht und ausgeführt von einem höhnischen Gott. Als sie geheiratet hatten, waren ihnen siebentausendfünfhundert im Jahr für ein junges Paar wie eine stattliche Summe vorgekommen, besonders wenn man sie um die Erwartung vieler Millionen vermehrte. Dass ihr Einkommen nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch an Kaufkraft abnahm, begriff Gloria erst, als die Zahlung von fünfzehntausend Dollar als Honorarvorschuss für Mr. Haight ihr den Tatbestand plötzlich und erschreckend deutlich vor Augen führte. Als Anthony eingezogen wurde, hatten sie ihr Einkommen auf mehr als vierhundert im Monat berechnet, und selbst da hatte der Dollar bereits an Wert verloren, doch nach seiner Rückkehr nach New York stellten sie zu ihrem Entsetzen fest, dass es noch schlimmer stand. Ihre Anlagen warfen nur viertausendfünfhundert im Jahr ab. Und obwohl die [505] Anfechtungsklage wie eine ständige Fata Morgana vor ihnen gaukelte und die finanzielle Gefahrenzone bedrohlich näher rückte, mussten sie feststellen, dass es ihnen nicht gelang, ihren Verhältnissen entsprechend zu leben.
So musste Gloria auf ihr Fehwerk verzichten, und jedesmal, wenn sie die Fifth Avenue entlangging, fühlte sie sich wegen ihres abgetragenen halblangen Leopardenfellmantels, der hoffnungslos aus der Mode gekommen war, leicht befangen. Jeden zweiten Monat verkauften sie ein Wertpapier, doch wenn die Rechnungen beglichen waren, blieb ihnen gerade so viel, wie von ihren laufenden Ausgaben heißhungrig verschlungen wurde. Anthonys Berechnungen ergaben, dass ihr
Weitere Kostenlose Bücher