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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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leidenschaftlich und besessen zu sein.
    In ihrem tiefsten Innern wusste sie, dass sie keine Kinder haben wollte. Die Wirklichkeit, die Erdverbundenheit, die unerträgliche Gefühlsduselei einer Schwangerschaft, die Gefahren für ihre Schönheit – all das hatte sie abgeschreckt. Sie wollte lediglich dahinleben wie eine Blume mit Bewusstsein, sich selbst verlängern und erhalten. Ihre Sentimentalität konnte sich ungestüm an ihre Illusionen anklammern, doch ihre ironische Seele flüsterte ihr zu, dass Mutterschaft auch das Privileg des Pavianweibchens war. So handelten ihre Träume nur von Geisterkindern – den frühen, den vollkommenen Symbolen ihrer frühen und vollkommenen Liebe zu Anthony.
    Am Ende also war ihre Schönheit das Einzige, was sie nie im Stich ließ. Nie hatte sie Schönheit gesehen, die der ihren gleichkam. Jegliche ethische oder ästhetische Bedeutung verblasste vor dem stofflichen Anblick ihrer herrlichen rosa-weißen Füße, der sauberen Makellosigkeit ihres Körpers und dem Kindermund, der wie das materielle Sinnbild eines Kusses war.
    Im Februar würde sie neunundzwanzig sein. Als die lange Nacht sich ihrem Ende zuneigte, wurde sie schärfstens inne, dass sie und die Schönheit die kommenden drei Monate nutzen mussten. Zuerst war sie sich nicht sicher, wozu, doch dann beantwortete sich die Frage allmählich wie von selbst: Die Leinwand lockte wieder. Diesmal meinte sie es ernst. Keine materielle Not hätte sie so motivieren können wie diese Angst. Anthony zählte nicht, [509] Anthony, dieser Arme im Geiste, der willensschwache und gebrochene Mann mit den blutunterlaufenen Augen, für den sie augenblicksweise immer noch Zärtlichkeit empfand. Er zählte nicht. Im Februar würde sie neunundzwanzig werden – einhundert Tage, so viele Tage. Morgen würde sie zu Bloeckman gehen.
    Mit der Entscheidung kam die Erleichterung. Es heiterte sie auf, dass die Illusion der Schönheit auf bestimmte Art erhalten werden konnte oder vielleicht sogar, nachdem sie in Wirklichkeit schon dahingeschwunden war, auf Zelluloid gebannt blieb. Also gut, morgen.
    Anderntags fühlte sie sich schwach und krank. Sie versuchte auszugehen und konnte eben noch einen Kollaps verhüten, indem sie sich an einen Briefkasten neben der Eingangstür klammerte. Der Liftboy aus Martinique half ihr nach oben, auf dem Bett wartete sie auf Anthonys Rückkehr und hatte nicht einmal die Kraft, ihren Büstenhalter aufzuhaken.
    Fünf Tage lang lag sie mit einer Grippe darnieder, die sich, gerade als der Monat in den Winter überging, zu einer doppelten Lungenentzündung auswuchs. Auf den fiebergeschüttelten Wanderungen ihres Geistes schlich sie auf der Suche nach ihrer Mutter durch ein Haus voller öder, unbeleuchteter Zimmer. Sie wollte nur noch ein kleines Mädchen sein, dessen sich eine nachgiebige und doch höhere Macht, dümmer und steter als sie selbst, annähme. Es kam ihr vor, als wäre der einzige Geliebte, den sie sich je gewünscht hatte, ein Geliebter in einem Traum.
    [510] Odi profanum vulgus
    Eines Tages auf dem Höhepunkt von Glorias Krankheit trug sich ein seltsamer Vorfall zu, der Miss McGovern, die ausgebildete Pflegerin, noch einige Zeit danach vor Rätsel stellte. Es war Mittag, aber das Zimmer, in dem die Patientin lag, war dunkel und still. Miss McGovern stand am Bett und mischte eine Arznei, als sich Mrs. Patch, die scheinbar tief geschlafen hatte, aufrichtete und heftig zu sprechen anhob:
    »Millionen Menschen«, sagte sie, »sie huschen wie Ratten, schnattern wie Affen, stinken höllisch… Affen! Oder Läuse, nehme ich an. Für einen wirklich noblen Palast… sagen wir auf Long Island oder sogar in Greenwich… für einen Palast voller Bilder aus der Alten Welt und nobler Gegenstände, mit baumbestandenen Auffahrten, grünen Rasenflächen, Blick aufs blaue Meer und mit schönen Menschen in eleganten Kleidern… würde ich hunderttausend, eine Million davon opfern.« Kraftlos hob sie die Hand und schnalzte mit den Fingern. »Die können mir gestohlen bleiben – hören Sie?«
    Der Blick, den sie Miss McGovern zum Abschluss ihrer Rede zuwarf, war merkwürdig elfenhaft, merkwürdig unverwandt. Dann stieß sie ein kurzes, leises, mit Hohn poliertes Lachen aus, ließ sich zurückfallen und schlief wieder ein.
    Miss McGovern war bestürzt. Sie überlegte, was wohl die hunderttausend Dinge waren, die Mrs. Patch für ihren Palast opfern würde. Dollar, nahm sie an – aber nach Dollar hatte es eigentlich nicht

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