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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Kollektiv.
    »Tagchen«, begann er mit lauter, belegter Stimme. »Hab da ’n Vorschlag.«
    Ob er sie nun gewollt hatte oder nicht, es trat schlagartige Stille ein. Eine Art Ehrfurcht senkte sich auf das halbe Dutzend einkaufender Frauen und auf den grauhaarigen Alten in Mütze und Kittel, der ein Hähnchen zerlegte.
    [500] Anthony zog einen Stoss Papiere aus seiner aufgeschlagenen Aktentasche und wedelte fröhlich damit herum.
    »Kauft mal ’n Wertpapier«, legte er ihnen nahe, »so gut wie ’ne Freiheitsanleihe!« Die Wendung gefiel ihm, und er wandelte sie ab. »Besser als ’ne Freiheitsanleihe. Jedes dieser Wertpapiere hier ist zwei Freiheitsanleihen wert.« Er machte einen geistigen Sprung und kam hüpfend zum Abschluss seiner Rede, die er mit angemessenen Gebärden unterstrich, wenn auch von der Notwendigkeit beeinträchtigt, sich mit einer oder beiden Händen an der Ladentheke festzuklammern. »Schauen Sie. Sie haben meine Zeit in Anspruch genommen. Ich will nicht wissen, warum Sie nicht kaufen. Ich will nur wissen, warum. Will wissen, wie viele !«
    An diesem Punkt hätten sie ihn mit Scheckheften und Füllfederhaltern in den Händen umlagern sollen. Als Anthony merkte, dass sie ihr Stichwort verpasst haben mussten, trat er, von schauspielerischem Instinkt geleitet, zurück und wiederholte sein Finale noch einmal.
    »Schauen Sie! Sie haben meine Zeit in Anspruch genommen. Sie haben den Vorschlag verstanden. Sie folgen meiner Beweisführung? Dann will ich von Ihnen nur noch eins: Wie viele Freiheitsanleihen?«
    »Jetzt langt’s aber!«, unterbrach ihn eine Stimme. Ein wohlbeleibter Mann, das Antlitz von einem symmetrischen gelben Zwirbelbart verziert, war aus einem Glashäuschen am hinteren Ende des Ladens getreten und steuerte auf Anthony zu. »Jetzt langt’s aber, Sie!«
    »Wie viele?«, wiederholte gestreng der Vertreter. »Sie haben meine Zeit in Anspruch genommen…«
    [501] »Heda, Sie!«, rief der Eigentümer. »Ich werde Sie festnehmen lassen.«
    »Das wer’n Sie ganz sicher nicht«, versetzte Anthony mit feiner Verachtung. »Ich will nur wissen, wie viele.«
    Hier und da stiegen im Geschäft kleine Wölkchen kritischer Bemerkungen und Verweise auf.
    »Wie entsetzlich!«
    »Der ist wohl völlig übergeschnappt.«
    »Er ist sturzbetrunken.«
    Der Eigentümer packte Anthony fest am Arm.
    »Hinaus, oder ich rufe die Polizei.«
    Ein Rest an Vernunft bewog Anthony, zu nicken und seine Wertpapiere unbeholfen wieder in der Aktentasche zu verstauen.
    »Wie viele?«, wiederholte er zögernd.
    »Die ganze Truppe, falls nötig!«, donnerte sein Widersacher, und sein gelber Bart zitterte heftig.
    »Den’ dreh ich all’n ’n Wertpapier an.«
    Damit wandte Anthony sich um, verneigte sich feierlich vor seinem späten Publikum und torkelte aus dem Laden. An der Ecke fand er ein Taxi, mit dem er zum Apartment fuhr. Dort sank er auf dem Sofa in einen festen Schlaf, und so fand ihn Gloria. Sein Atem erfüllte die Luft mit einem unangenehm bitteren Geruch, und seine Hand umklammerte noch immer die geöffnete Aktentasche.
    Wenn Anthony nicht trank, war seine Gefühlswelt eingeschränkter als die eines gesunden Alten. Als im Juni die Prohibition verhängt wurde, stellte er fest, dass bei denen, die es sich leisten konnten, mehr gezecht wurde denn je zuvor. Ein Gastgeber holte jetzt unter dem geringsten [502] Vorwand eine Flasche hervor. Alkohol bot man aus dem gleichen Instinkt heraus an, wie man seine Gemahlin mit Geschmeide behängte. Alkohol im Haus zu haben war ein Gebot des Stolzes, ja fast ein Markenzeichen von Achtbarkeit.
    Morgens erwachte Anthony zerschlagen, nervös und besorgt. Für das Gold der sommerlichen Abenddämmerung und die rötliche Kühle des Morgens war er gleichermaßen unempfänglich. Nur dank der lebenserneuernden Wärme eines ersten Highballs wandte sich sein Geist jeden Morgen für einen kurzen Augenblick den glitzernden Träumen von künftigen Vergnügungen zu – das gemeinsame Erbe der Glücklichen und der Verdammten. Doch hielt dies nur eine kleine Weile vor. Je betrunkener er wurde, desto rascher verblassten die Träume, und er wurde ein wirrer Geist, der sich in seltsamen Nischen seines Verstandes umherbewegte, voll unerwarteter Einfälle war – bestenfalls schroff und verächtlich – und in feuchte Abgründe der Mutlosigkeit stürzte. Eines Abends im Juni hatte er sich wegen einer Lappalie heftig mit Maury gestritten. Am nächsten Morgen erinnerte er sich undeutlich, dass es um

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