Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
Mittelschicht.«
    »Weshalb das Gegenteil vortäuschen? Ich hasse Leute, die behaupten, große Aristokraten zu sein, wenn sie nicht einmal den Schein wahren können.«
    »Glaubst du denn, man braucht Geld, um Aristokrat sein zu können?«
    Muriel… die entsetzte Demokratin…!
    »Aber ja doch. Die Aristokratie ist doch nur das Eingeständnis, dass gewisse Charakterzüge, die wir vornehm nennen – Mut, Ehre, Schönheit und dergleichen –, am besten in einem günstigen Umfeld gedeihen, wo man es nicht mit den Verkrümmungen von Unwissenheit und Not zu tun hat.«
    Muriel biss sich auf die Unterlippe und wiegte den Kopf.
    »Ich sage nur, dass Menschen aus guter Familie immer liebenswürdig sind. Das ist das Problem mit dir und Gloria. Ihr denkt, nur weil es augenblicklich nicht so gut um euch steht, versuchen eure alten Freunde, euch aus dem Weg zu gehen. Ihr seid überempfindlich…«
    »Du hast doch überhaupt keine Ahnung«, sagte Anthony. »Bei mir ist es einfach eine Frage des Stolzes, und ausnahmsweise ist Gloria vernünftig genug, mir darin recht zu geben, dass wir uns nicht blicken lassen sollten, wo wir [527] unerwünscht sind. Und wir sind unerwünscht. Wir geben zu sehr ein schlechtes Beispiel ab.«
    »Unsinn! Du kannst deinen Pessimismus nicht auf meiner kleinen Sonnenveranda abstellen. Ich finde, du solltest dir alle diese morbiden Überlegungen aus dem Kopf schlagen und arbeiten gehen.«
    »Hier bin ich, zweiunddreißig. Angenommen, ich würde in irgendeinem idiotischen Betrieb anfangen. Vielleicht komme ich – mit einigem Glück – in zwei Jahren auf fünfzig Dollar die Woche. Das heißt, falls ich überhaupt eine Stelle bekomme; es gibt furchtbar viele Arbeitslose. Also, angenommen, ich verdiene fünfzig die Woche. Glaubst du etwa, ich wäre deshalb glücklicher? Glaubst du, wenn ich das Geld meines Großvaters nicht bekomme, wäre das Leben zu ertragen ?«
    Muriel lächelte selbstgefällig.
    »Nun«, sagte sie, »ausgekocht magst du ja sein, aber gesunden Menschenverstand hast du nicht.«
    Einige Minuten später kam Gloria herein. Es war, als brächte sie einen dunklen Farbton mit in die Wohnung, unbestimmt und rar. Auf verhaltene Art war sie froh, Muriel zu sehen. Sie begrüßte Anthony mit einem beiläufigen »Hi!«.
    »Ich habe mit deinem Mann philosophiert«, rief die unbezähmbare Muriel.
    »Wir haben uns mit einigen grundlegenden Begriffen befasst«, sagte Anthony. Ein schwaches Lächeln verunstaltete seine blassen Wangen, die unter dem Zweitagebart noch blasser wirkten.
    Ohne die Ironie zu bemerken, kaute Muriel ihre [528] Behauptung von neuem durch. Als sie ausgeredet hatte, sagte Gloria gelassen: »Anthony hat recht. Es macht keinen Spaß, Besuche abzustatten, wenn man das Gefühl hat, dass einen die Leute schief angucken.«
    Er unterbrach sie klagend: »Meinst du nicht, dass es höchste Zeit ist, keine Leute mehr anzurufen, wenn sogar Maury Noble, früher mein bester Freund, uns nicht mehr besuchen kommt?« In seinen Augen standen Tränen.
    »Das mit Maury Noble ist deine Schuld«, sagte Gloria.
    »Ist es nicht.«
    »Aber ganz bestimmt.«
    Muriel schaltete sich rasch ein: »Vor kurzem habe ich ein Mädchen getroffen, das Maury kennt, und sie sagt, dass er nicht mehr trinkt. Er will sich keine Blöße geben.«
    »Er trinkt nicht mehr?«
    »Praktisch überhaupt nicht. Er verdient Geld wie Heu. Seit dem Krieg ist er ein anderer geworden. Er will ein millionenschweres Mädel aus Philadelphia heiraten, Ceci Larrabee – heißt es in der Gerüchteküche.«
    »Er ist dreiunddreißig«, sagte Anthony und dachte laut nach. »Aber eine merkwürdige Vorstellung, dass er heiraten will. Ich habe ihn immer für hochbegabt gehalten.«
    »Das war er auch«, murmelte Gloria, »in gewisser Hinsicht.«
    »Aber hochbegabte Menschen treiben doch keine Geschäfte – oder? Oder was machen sie? Was wird aus all denen, die man gekannt hat und mit denen man so viel gemein hatte?«
    »Man lebt sich auseinander«, legte Muriel mit angemessen träumerischem Blick nahe.
    [529] »Sie ändern sich«, sagte Gloria. »All die Qualitäten, die in ihrem Alltagsleben nicht zur Geltung kommen, überziehen sich mit Spinnweben.«
    »Als Letztes hat er noch zu mir gesagt«, erinnerte sich Anthony, »dass er arbeiten gehen wolle, um zu vergessen, dass es nichts gibt, wofür zu arbeiten sich lohnt.«
    Muriel sprang darauf an.
    »Genau das solltest auch du tun«, rief sie triumphierend aus. »Natürlich glaube ich nicht, dass

Weitere Kostenlose Bücher