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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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irgendjemand umsonst arbeiten will. Aber wenigstens hättest du etwas zu tun. Was fangt ihr überhaupt mit euch an? Im Montmartre seid ihr nie zu sehen – und anderswo auch nicht. Müsst ihr sparen?«
    Gloria lachte höhnisch und warf Anthony aus den Augenwinkeln einen Blick zu.
    »Worüber lachst du?«, wollte er wissen.
    »Du weißt, worüber ich lache«, antwortete sie kalt.
    »Über die Kiste Whisky?«
    »Ja« – sie wandte sich an Muriel –, »gestern hat er fünfundsiebzig Dollar für eine Kiste Whisky bezahlt.«
    »Und wenn schon! So ist er billiger, als wenn man ihn flaschenweise kauft. Du brauchst gar nicht so zu tun, als würdest du nichts davon trinken.«
    »Wenigstens trinke ich nicht tagsüber.«
    »Das ist aber ein feiner Unterschied!«, rief er und sprang in einem Anfall von kraftlosem Zorn auf. »Außerdem will ich mir das verdammt noch mal nicht alle paar Minuten vorwerfen lassen.«
    »Aber es ist doch wahr.«
    »Ist es nicht! Und ich habe es satt, dass du mich [530] ständig vor Besuchern kritisierst!« Er hatte sich in eine solche Gemütsverfassung hineingesteigert, dass seine Arme und Schultern sichtlich zitterten. »Man möchte meinen, dass ich an allem schuld bin. Man möchte meinen, du hättest mich nie dazu ermuntert, Geld auszugeben – dabei hast du weitaus mehr Geld für dich ausgegeben als ich für mich.«
    Jetzt stand auch Gloria auf.
    »Ich lasse mit mir nicht so reden!«
    »Dann eben nicht. Himmel noch mal, brauchst du auch nicht!«
    Ungestüm verließ er den Raum. Die beiden Frauen hörten seine Schritte in der Diele, dann schlug die Haustür zu. Gloria sank in ihren Stuhl. Im Lampenschein sah ihr Gesicht wunderschön aus, gelassen, unerforschlich.
    »Oh…!«, rief Muriel gequält. »Oh, was ist nur los mit ihm?«
    »Nichts Besonderes. Er ist nur betrunken.«
    »Betrunken? Aber er ist doch vollkommen nüchtern. Er spricht…«
    Gloria schüttelte den Kopf.
    »O nein, es ist ihm nicht mehr anzumerken, es sei denn, dass er kaum noch stehen kann, und er redet ganz verständlich, bis er sich erregt. Er redet viel besser, als wenn er nüchtern ist. Aber er hat den ganzen Tag hier gesessen und getrunken – bis auf die paar Minuten, die es braucht, um zur Ecke vorzulaufen und sich eine Zeitung zu kaufen.«
    »Ach, wie entsetzlich!« Muriel war aufrichtig ergriffen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Kommt das öfters vor?«
    »Dass er trinkt, meinst du?«
    [531] »Nein, dieses – dass er hinausstürmt.«
    »O ja. Häufig. Um Mitternacht wird er zurückkommen– weinen und mich um Verzeihung bitten.«
    »Und – verzeihst du ihm?«
    »Ich weiß nicht. Wir gehen darüber hinweg.«
    Die beiden Frauen saßen im Lampenschein und schauten einander an, jede auf ihre Weise hilflos. Gloria war immer noch hübsch, so hübsch, wie sie nur sein konnte – ihre Wangen waren gerötet, und sie trug ein neues Kleid, das sie – unbesonnenerweise – für fünfzig Dollar gekauft hatte. Sie hatte gehofft, Anthony dazu überreden zu können, sie an diesem Abend auszuführen, in ein Restaurant oder sogar zu einem der großen, prunkvollen Filmpaläste, wo es ein paar Menschen gäbe, die sie betrachten würden, die ihrerseits zu betrachten sie ertragen könnte. Das wünschte sie sich, weil sie wusste, dass ihre Wangen gerötet waren, und weil ihr Kleid neu und angemessen zart war. Inzwischen erhielten sie nur noch sehr selten irgendwelche Einladungen. Aber das alles erzählte sie Muriel nicht.
    »Gloria, Liebes, ich wünschte, wir könnten gemeinsam dinieren, aber ich habe bereits einem Mann zugesagt – und es ist schon halb acht. Ich muss auf und davon.«
    »Ach, ich könnte ohnehin nicht. Mir ist schon den ganzen Tag übel gewesen. Ich könnte keinen Bissen zu mir nehmen.«
    Nachdem sie mit Muriel zur Tür gegangen war, kam Gloria ins Zimmer zurück und schaltete die Lampe aus. Sie lehnte sich mit den Ellbogen aufs Fensterbrett und sah hinaus auf den Palisades Park, wo sich wie ein zitternder Spiegel, der das gelbe Licht des Mondes einfängt, funkelnd das [532] Rund des Riesenrads drehte. Die Straße lag längst still; die Kinder waren hineingegangen – auf der anderen Straßenseite sah sie eine Familie beim Abendessen. Sie standen lächerlich ziellos auf und liefen um den Tisch herum; von dieser Warte aus wirkte alles, was sie taten, ungereimt – es war, als zappelten sie achtlos und ohne Absicht an unsichtbaren Drähten über ihren Köpfen.
    Sie sah auf ihre Uhr – es war acht. Einen Teil des

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