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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sofern man Gelegenheit dazu hatte, einfach beitreten musste – dabei hätte er eigentlich den Harvard Club vorgezogen, vor allem wegen Dick und Maury. Als es jedoch mit ihm bergab ging, war das Amsterdam ihm wie zunehmend begehrenswerter Flitter vorgekommen, an den man sich klammerte… Zuallerletzt gab er es, zu seinem Bedauern, auf…
    Ein Dutzend seltsamer Gestalten waren jetzt seine Kumpane. Mehrere von ihnen hatte er in einem Lokal namens Sammy’s in der 43. Straße kennengelernt, wo man, wenn man an der Tür anklopfte und von einem Mann hinter einem Gitter eingelassen wurde, um einen großen runden Tisch herum sitzen und recht ordentlichen Whisky trinken konnte. Hier begegnete er einem Mann namens Parker Allison, der schon in Harvard ein Trunkenbold gewesen war und so schnell wie möglich das gewaltige Vermögen eines Hefe-Imperiums durchbrachte. Parker Allisons Vorstellung von Vornehmheit bestand darin, in einem lärmenden rot-gelben Rennwagen den Broadway hinaufzubrausen, neben sich zwei glitzernde Mädchen mit hartem Blick. Er war der Typ, der lieber mit zwei Mädchen essen ging als mit einem – sein Ideenreichtum reichte kaum dazu, ein Zwiegespräch aufrechtzuerhalten.
    Neben Allison war da noch Pete Lytell, der einen grauen Filzhut schräg auf dem Kopf trug. Er hatte stets Geld und war üblicherweise heiter gestimmt, so dass Anthony an zahlreichen Sommer- und Herbstnachmittagen ziellose, weitschweifige Gespräche mit ihm führte. Lytell, fand er, sprach nicht nur, sondern dachte auch in Phrasen. Seine [536] Weltanschauung bestand aus einer Reihe von Phrasen, die er im Laufe eines tätigen, gedankenlosen Lebens aufgeschnappt hatte. Er verfügte über Phrasen zum Sozialismus – die sattsam bekannten; er verfügte über Phrasen zur Existenz eines persönlichen Gottes – das hatte mit einem Eisenbahnunglück zu tun, in das er einmal verwickelt gewesen war; und er verfügte über Phrasen zur irischen Frage, zum Frauentyp, den er achtete, und zur Zwecklosigkeit der Prohibition. Seine Unterhaltung schwang sich nur dann über das Niveau der wirren Satzbrocken, mit denen er die bizarrsten Vorfälle in einem überdurchschnittlich ereignisreichen Leben deutete, wenn er sich zu einer detaillierten Erörterung seiner höchst animalischen Existenzweise herbeiließ: In Sachen Essen, Trinken und Frauentypen kannte er sich aufs trefflichste aus.
    Er war das gewöhnlichste und zugleich bemerkenswerteste Erzeugnis der Zivilisation. Er war neun von zehn Menschen, denen man in der Stadt auf der Straße begegnet – und er war ein unbehaarter Affe mit zwei Dutzend Tricks. Er war der Held von tausend wahren und erfundenen Romanzen – und er war, im Grunde genommen, ein Trottel, der im Laufe von dreimal zwanzig Jahren auf biedere und zugleich absurde Weise in einer Reihe verzwickter und unendlich verblüffender Epen mitgespielt hatte.
    Mit Männern wie diesen beiden trank und diskutierte, trank und stritt sich Anthony. Er mochte sie leiden, weil sie nichts über ihn wussten, weil sie in der Banalität lebten und nicht die leiseste Vorstellung vom unweigerlichen Fortgang des Lebens hatten. Sie saßen nicht vor einem Film auf aufeinanderfolgenden Spulen, sondern vor einem verstaubten, [537] altmodischen Reisebuch, bei dem alle Wertbegriffe krass und daher alle Schlussfolgerungen wirr waren. Doch sie selbst waren durchaus nicht verwirrt, weil es nichts in ihnen gab, das sich verwirren ließ – von Monat zu Monat wechselten sie die Phrasen, so wie sie die Krawatten wechselten.
    Anthony, der höfliche, der feinsinnige, der umsichtige Anthony, war jeden Tag betrunken – im Sammy’s zusammen mit diesen Männern, im Apartment über einem Buch, einem Buch, das er schon kannte, und – sehr selten – zusammen mit Gloria, die in seinen Augen unverkennbare Anzeichen eines streitsüchtigen, unvernünftigen Frauenzimmers zu entwickeln begonnen hatte. Auf jeden Fall war sie nicht mehr die Gloria von früher – die Gloria, die es, wenn sie krank war, vorzog, jedermann um sie herum elend zu machen, statt sich einzugestehen, dass sie Mitgefühl oder Unterstützung brauchte. Sie war nicht mehr zu stolz, um zu jammern; sie war nicht mehr zu stolz, sich selber leid zu tun. Jeden Abend, bevor sie zu Bett ging, rieb sie sich das Gesicht mit einer neuen Salbe ein, von der sie sich wider alle Logik erhoffte, dass sie ihrer schwindenden Schönheit Glanz und Frische wiederschenkte. Wenn Anthony betrunken war, verspottete er sie deswegen. War er

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