Die Schönen und Verdammten
Schönheit und Charakter eingebüßt. Anthony kann mit seinen Reichtümern nicht mehr viel anfangen: Winner takes nothing.
Es wird in dem 600-seitigen Roman nicht recht klar, wie Fitzgerald eigentlich zu seinen beiden Hauptfiguren steht. Bald scheint er sie mit einer gewissen Sympathie zu betrachten, weil sie keine Spießer sind und auf ihre verquere Art ihren Traum zu leben versuchen, dann wieder scheint er sich über ihr Schmarotzertum, ihre Wehleidigkeit und Selbstgerechtigkeit aufzuregen und nimmt eine ostentativ moralisierende Haltung ein. Es sieht so aus, als wäre die ganze Ambivalenz, die er gegenüber seiner eigenen Existenz und Ehe hatte, in den Roman geflossen. Er war produktiver [591] als Zelda, aber sie war der bestimmendere Charakter. 1930 schrieb er an sie: »Ich wünschte mir, Die Schönen und Verdammten wären ein reiferes Werk, denn es war alles wahr. Wir haben uns selbst ruiniert – ich habe nie aufrichtig gedacht, dass wir einander ruinierten.« Aber 1940 sagte er seiner Tochter: »Gloria war eine viel trivialere und vulgärere Person als deine Mutter. Ich kann eigentlich nicht sagen, dass es eine Ähnlichkeit zwischen den beiden gegeben hätte, abgesehen von ihrer Schönheit und bestimmten Wendungen, die sie benutzte, und natürlich machte ich auch Gebrauch von vielen Ereignissen in unseren ersten Ehejahren. Doch die Akzente lagen ganz anders. Wir hatten es viel besser miteinander als Anthony und Gloria.« Auch diese Aussage gilt es freilich zu situieren: Sie ist in der Zeit nach der Trennung entstanden, und sie soll ein junges Mädchen in Bezug auf das Leben seiner Eltern beruhigen.
Fitzgeralds Selbstbildnis in Die Schönen und Verdammten ist auf zwei Figuren verteilt: auf der einen Seite steht Anthony Patch, der Müßiggänger und Trinker, auf der anderen Seite sein alter Kumpan Dick Caramel, ein wenig begabter Schriftsteller, der auf dem Gebiet der seichten Unterhaltung zu Erfolg gelangt. Sowohl Anthony als auch Dick sind Projektionsfiguren für die Ängste Fitzgeralds. Maury Noble hingegen, der Züge von George Jean Nathan trägt, steht für den erfolgreichen Zyniker, der Anthony nicht werden kann.
Fitzgeralds zweiter Roman ist in Aufbau und Struktur alles andere als ein Meisterwerk; im Vergleich zur Widersprüchlichkeit und Inkonsistenz seines Erstlings stellt er jedoch einen klaren Fortschritt dar. Zwar finden wir auch hier [592] noch – durch Zwischentitel in den Kapiteln abgegrenzte – überflüssige Nebenhandlungen sowie Widersprüche in Inhalt und Stil. Fitzgerald konnte auf eingeschobene kommentierende und philosophierende Passagen noch immer nicht verzichten – so wenig wie auf dramatische Einsprengsel. Besonders die »Rückblende ins Paradies«, in dem »Die Schönheit« (Gloria) von der »Stimme« auf die Erde gesandt wird, beeinträchtigt die naturalistische Anlage des Romans.
Die Probleme der Perspektive kommen aus Fitzgeralds schwankender Haltung gegenüber seiner Hauptfigur. Der Roman ist aus der Sicht eines allwissenden Erzählers geschrieben, doch Fitzgerald hält diese Perspektive nicht durch. Die Stimme sagt manchmal Dinge, die nur ein Ich-Erzähler sagen könnte: Sie kommentiert, sie ergeht sich in Selbstgesprächen, und sie lässt sich auf Diskussionen mit dem Leser ein. Diese Art zu erzählen hat viel mit dem Zeitschriften-Lieferanten Fitzgerald zu tun. Dort war diese Art aufdringlich-einfühlender Suada willkommen. Erst später sollte Fitzgerald lernen, sich als Erzähler zurückzuhalten.
Mitte Oktober 1921 bekam er die Korrekturbögen. Er betrachtete sie als eine Art Typoskript und begann, ganze Passagen neu zu schreiben. Seine Änderungen gingen weit über das hinaus, was um die Satzkosten besorgte Verleger als Autor-Korrekturen bezeichnen. Es scheint, dass Fitzgerald den gesetzten Text vor sich haben musste, um sich überhaupt einen Überblick verschaffen und an die endgültige Version gehen zu können. Er sagte sowohl Ober als auch Wilson, er habe ganze Partien neu verfasst; da sich aber keine Druckvorlage erhalten hat, kann der Vorgang nicht so genau rekonstruiert werden. Die einzige erhaltene Textstufe [593] vor dem gedruckten Buch ist Fitzgeralds Manuskript mit getippten Ergänzungen, das in der Princeton University Library aufbewahrt wird. Ein Vergleich des gedruckten Texts mit diesem Manuskript ergibt gemäß Bruccoli, dass Fitzgerald in den Korrekturfahnen keine Streichungen oder Änderungen anbrachte, die den Roman in seiner Substanz verändert
Weitere Kostenlose Bücher