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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sie trug einen mit Veilchen bedeckten Hut vom Vorjahr, der nicht sehnsuchtsvoll angeberischer und augenfällig gekünstelter hätte sein können als sie selbst.
    Gebannt beobachteten Anthony und Gloria, wie das Mädchen sich setzte und den Eindruck verbreitete, sie sei nur deswegen zugegen, weil sie sich dazu herablasse. Für mich, besagten ihre Augen, ist dies im Grunde nur eine Forschungsreise in die Slums, die ich mit verharmlosendem Gelächter und halben Entschuldigungen verbräme.
    Und die anderen Frauen versuchten leidenschaftlich, den [98] Eindruck zu erwecken, als säßen sie zwar in der Menge, gehörten ihr aber nicht an. Für sie war dies nicht die gewohnte Umgebung; sie waren nur mal eben hereingeschneit, das Lokal lag günstig und in ihrer Nähe – jede Gruppe im Restaurant suchte diesen Eindruck zu vermitteln… wer weiß? Sie alle änderten ja ständig die Klassenzugehörigkeit – oft heirateten die Frauen über ihrem Stand, oder die Männer kamen unverhofft zu blendendem Reichtum: ein hinreichend grotesker Werbefeldzug, eine verherrlichte Eiswaffel. Unterdessen trafen sie sich hier, um zu essen, verschlossen die Augen vor der Knauserigkeit, die sich darin offenbarte, wie selten die Tischtücher gewechselt wurden, in der Oberflächlichkeit der Darbietungen, am meisten aber in der plump-vertraulichen Nachlässigkeit der Kellner. Eines stand fest: Von ihren Gästen ließen diese Kellner sich nicht beeindrucken. Man rechnete fast damit, dass sie sich jeden Augenblick zu einem an den Tisch setzen würden…
    »Stört es Sie?«, erkundigte sich Anthony.
    Glorias Miene hellte sich auf, und zum ersten Mal an diesem Abend lächelte sie.
    »Es gefällt mir«, sagte sie freimütig. Es war unmöglich, ihr nicht zu glauben. Ihre grauen Augen schweiften hierhin und dorthin, verweilten müßig oder aufmerksam auf jeder Gruppe und wanderten mit unverhohlenem Vergnügen weiter zur nächsten, und währenddessen wurden Anthony die unterschiedlichen Eigenschaften ihres Profils deutlich, der wunderbar lebhafte Ausdruck ihres Mundes und der echte Adel von Antlitz, Gestalt und Manieren, der sie zur einzigen Zierde inmitten einer Kollektion billigen Flitters machte. Angesichts ihrer Fröhlichkeit stieg ihm eine verzehrende [99] Empfindung in die Augen, würgte ihn, ließ seine Nerven kribbeln und füllte seine Kehle mit heiser zitternder Leidenschaft. Im Saal herrschte auf einmal Stille. Das unsaubere Geigen- und Saxophonspiel, das schrille Plärren eines Kindes nahebei, die Stimme des Mädchens mit dem Veilchenhut am Nachbartisch – all das verebbte langsam, trat zurück und verschwand wie Schatten vom glänzenden Parkett –, und es schien ihm, als seien sie beide allein und unendlich weit entrückt, ruhig. Bestimmt war das Rot ihrer Wangen der hingehauchte Glanz eines Landes zarter und unentdeckter Schattierungen, ihre auf dem fleckigen Tischtuch schimmernde Hand eine Muschel aus einem fernen wildjungfräulichen Meer…
    Dann zerriss das Trugbild wie ein Gespinst; der Saal gruppierte sich wieder von neuem, Stimmen, Gesichter, Gebärden; der grelle Schein der Lampen über ihnen wurde wirklich, wurde wirksam; der Atem setzte ein, jene langsamen Atemzüge, die sie und er im Takt mit dieser gefügigen Hundertschaft taten, das Heben und Senken der Brust, das ewige, sinnlose Spiel und Wechselspiel, hingeworfene und aufgefangene Worte und Wendungen: All das legte seine Sinne gewaltsam offen für den würgenden Druck des Lebens – und dann drang ihre Stimme an sein Ohr, kühl wie der schwebende Traum, aus dem er eben aufgetaucht war.
    »Hierher gehöre ich«, murmelte sie, »ich bin wie diese Leute hier.«
    Einen Augenblick erschien ihm diese Äußerung wie ein überflüssiges hämisches Paradoxon, das sie ihm über die unüberwindliche Distanz hinweg zurief, die sie wahrte. Ihre Verzückung hatte sich weiter gesteigert – ihr Blick [100] ruhte auf einem jüdischen Geiger, der seine Schultern zum Rhythmus des einschmeichelndsten Foxtrotts des Jahres wiegte:
    Something… goes
    Ring-a-ting-a-ling-a-ling
    Right in your ear…
    Sie sprach erneut, ganz gefangen in ihrer Illusion. Er war erstaunt. Es klang wie eine Gotteslästerung aus dem Munde eines Kindes.
    »Ich bin wie sie – wie japanische Lampions und Krepppapier und wie die Musik dieser Kapelle.«
    »Sie sind ein junger Dummkopf!«, behauptete er ungestüm.
    Sie schüttelte den blonden Kopf.
    »Nein, ganz und gar nicht. Ich bin wirklich wie sie… Das müssen Sie einfach

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