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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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seiner Eitelkeit geschmeichelt – allerdings schmeichelte ihm ihr Vergnügen an seiner Gesellschaft. Er hatte nicht einmal Grund zu der Annahme, dass sie ihm irgendetwas gegönnt hatte, was sie nicht auch anderen gönnte. Das war auch gut so. Die Vorstellung, dass der [142] Abend ihm hätte Verwicklungen bescheren können, war ebenso abwegig wie abstoßend. Und sie hatte die Episode mit einer entschiedenen Lüge erledigt und abgetan. Hier waren zwei junge Leute mit genügend Phantasie, um ein Spiel von seiner Umsetzung in die Wirklichkeit unterscheiden zu können – zwei junge Leute, die sich dank der Beiläufigkeit, mit der sie einander getroffen hatten und weitergegangen waren, als unversehrt ausgaben.
    Nachdem er zu diesem Resultat gekommen war, ging er zum Telefon und rief im Plaza Hotel an.
    Gloria war ausgegangen. Ihre Mutter wusste weder, wo sie hingegangen war, noch wann sie zurückkommen würde.
    In diesem Augenblick war der erste Missklang in dieser Angelegenheit zu vernehmen. Irgendwie haftete Glorias Abwesenheit von zu Hause ein Moment der Gleichgültigkeit, ja der Schamlosigkeit an. Er argwöhnte, dass sie ihn, indem sie ausgegangen war, in eine Falle gelockt hatte. Wenn sie heimkam, würde sie seinen Namen vorfinden und in sich hineinlächeln. Sehr diskret! Er hätte ein paar Stunden abwarten sollen, um ihr vor Augen zu führen, für wie ganz und gar belanglos er die kurze Episode erachtete. Was für ein Esel er doch war! Sie würde denken, dass er sich besonders begünstigt fühle. Sie würde denken, dass er auf einen ganz trivialen Vorfall mit höchst ungehöriger Vertraulichkeit reagiere.
    Er erinnerte sich, wie im vergangenen Monat sein Hausmeister, dem er einen ziemlich verworrenen Vortrag darüber gehalten hatte, dass alle Menschen Brüder seien, tags darauf zu ihm hochgekommen war und es sich aufgrund des Vorfalls am vergangenen Abend zu einem [143] halbstündigen herzhaften Schwatz auf dem Fenstersitz bequem gemacht hatte. Erschrocken fragte sich Anthony, ob Gloria ihn mit denselben Augen betrachtete wie er diesen Mann. Ihn – Anthony Patch! O Schreck!
    Es fiel ihm nicht ein, dass er ein passives Etwas war, auf das eine Macht hinter Gloria einwirkte, dass er lediglich die lichtempfindliche Platte war, auf der das Lichtbild entstand. Irgendein gigantischer Fotograf hatte die Kamera auf Gloria gerichtet, und – schnapp! – die arme Platte, wie alle anderen Dinge ihrer Natur unterworfen, konnte nur noch entwickelt werden.
    Doch Anthony, der auf seiner Couch lag und auf die orangene Lampe starrte, fuhr sich mit seinen schlanken Fingern unaufhörlich durch das dunkle Haar und dachte sich für jede Stunde neue Bilder aus. Jetzt hielt sie sich in einem Geschäft auf, bewegte sich geschmeidig zwischen Samt und Pelzen, und ihr Kleid raschelte anmutig beim Durchschreiten dieser Welt aus raschelnder Seide, kühlem Sopranlachen und dem Duft vieler gemordeter und doch lebendiger Blumen. Die Minnies und Pearls, die Jewels und Jennys drängten sich wie Hofdamen um sie und trugen hauchdünnen Crêpe Georgette und feinen Chiffon herbei, der ihre Wangen in zarten Pastellfarben spiegelte, weiche Spitze, die sich in blasser Nachlässigkeit um ihren Hals schmiegte – Damast wurde damals nur dazu verwendet, um Priester und Diwane zu verhüllen, und an Tuch aus Samarkand erinnerten sich nur noch romantische Dichter.
    Nach einer Weile ging sie woandershin, neigte den Kopf auf hundert verschiedene Weisen unter hundert verschiedenen Hauben und suchte erfolglos nach künstlichen [144] Kirschen, die zu ihren Lippen passten, oder nach Federn, die ebenso graziös waren wie ihr biegsamer Leib.
    Dann würde es Mittag werden – sie würde die Fifth Avenue entlangeilen, ein nordischer Ganymed, und ihr eleganter Pelzmantel würde im Takt zu ihren Schritten schwingen, ihre Wangen gerötet von den Pinselstrichen des Windes, ihr Atem ein köstlicher Hauch in der frischen Luft – und die Türen des Ritz würden sich drehen, die Menge sich teilen, fünfzig Männeraugen zucken und starren, wenn sie den Ehemännern vieler lächerlich fettleibiger Frauen längst vergessene Träume wiederschenkte.
    Ein Uhr. Mit ihrer Gabel würde sie das Herz einer anbetungsvollen Artischocke aufspießen, während ihr Begleiter ihr mit den zäh triefenden Sätzen eines hingerissenen Mannes den Hof machte.
    Vier Uhr. Ihre kleinen Füße, die sich im Rhythmus der Melodie bewegen, ihr Antlitz in der Menge deutlich zu erkennen, ihr Partner glücklich

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