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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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der Champagner – und die Party nahm vergnüglichere Ausmaße an. Die Männer, mit Ausnahme Richard Caramels, tranken reichlich; Gloria und Muriel nippten jede an einem Glas; Rachael Jerryl rührte nichts an. Bei den Walzern blieben sie sitzen, tanzten jedoch zu allem anderen – alle bis auf Gloria, die nach einer Weile zu ermüden schien und es vorzog, rauchend am Tisch sitzen zu bleiben, mal mit trägen, mal mit lebhaften Blicken, je nachdem, ob sie Bloeckman zuhörte oder eine hübsche Frau unter den Tänzerinnen beobachtete. Mehrere Male fragte sich Anthony, was Bloeckman ihr da wohl erzählte. Er kaute an einer Zigarre, die er im Mund hin und her schob, und war nach dem Essen heftig gestikulierend aus sich herausgegangen.
    Um zehn Uhr begannen Gloria und Anthony zu tanzen. Als sie außerhalb der Hörweite des Tisches waren, sagte sie mit gesenkter Stimme: »Tanzen Sie zur Tür hin. Ich möchte zum Drugstore.«
    Folgsam geleitete Anthony sie durch die Menge in die angegebene Richtung; im Foyer ließ sie ihn einen Augenblick stehen und tauchte mit einem Umhang überm Arm wieder auf.
    »Ich möchte Weingummi«, sagte sie heiter-verlegen. »Sie werden mir nicht glauben, warum. Es ist nur, dass ich den Drang verspüre, an meinen Fingernägeln zu kauen, und wenn ich kein Weingummi bekomme, tue ich’s eben.« Sie seufzte, und als sie den leeren Fahrstuhl betraten, fuhr sie fort: »Ich habe schon den ganzen Tag darauf herumgenagt. [137] Nagende Nervosität, verstehen Sie? Entschuldigen Sie den Kalauer. Es war keine Absicht – die Worte sind mir nur so herausgerutscht. Gloria Gilbert, die Possenreißerin.«
    Als sie im Erdgeschoss ankamen, mieden sie unbekümmert den Süßwarenstand des Hotels, stiegen die breite Freitreppe hinab und liefen durch eine Reihe von Galerien, bis sie in der Grand Central Station einen Drugstore fanden. Sie unterzog den Parfümtisch einer eingehenden Prüfung, dann erledigte sie ihren Einkauf. Danach schlenderten sie, einem unausgesprochenen Impuls gehorchend, Arm in Arm nicht etwa in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, sondern auf die 43. Straße hinaus.
    In jener Nacht taute es; es war schon fast warm genug, dass eine Brise, die den Gehsteig entlangwehte, Anthony die Vision eines unverhofften Hyazinthenfrühlings eingab. Die Illusion einer neuen Jahreszeit – oben, im blauen Rechteck des Himmels, und um sie her, in der Liebkosung des dahinschwebenden Windhauchs – verschaffte ihnen Erleichterung von der drückenden und stickigen Atmosphäre, der sie entflohen waren, und einen stillen Augenblick lang schien ihnen im Verkehrslärm und im Glucksen des Wassers in den Gossen trügerisch und zart die Musik nachzuklingen, zu der sie eben noch getanzt hatten. Als Anthony sprach, geschah es in dem sicheren Wissen, dass seine Worte von einem atemlosen Verlangen herrührten, welches die Nacht in ihrer beider Herzen gezeugt hatte.
    »Wollen wir eine Droschke nehmen und ein bisschen spazierenfahren?«, schlug er vor, ohne sie anzusehen.
    Oh, Gloria, Gloria!
    Am Bordstein stand eine offene Droschke. Als sie anfuhr [138] wie ein Schiff, das in einen hochgetürmten Ozean ausläuft, und sich zwischen den nächtlich unbestimmten Massen hoher Gebäude, inmitten bald gedämpfter, bald schriller Rufe und Klänge verlor, legte Anthony seinen Arm um das Mädchen, zog sie an sich und küsste ihren feuchten, kindlichen Mund.
    Sie schwieg. Sie wandte ihm das Gesicht zu; unter den wie Mondschein durch Laubwerk hereintanzenden Lichtflecken wirkte es bleich. Im weißen See ihres Angesichts waren ihre Augen das glitzernde Wellenspiel; das Dunkel ihres Haars umrahmte ihre Stirn mit einem durchaus unpersönlichen Schatten. Liebe stand dort gewiss nicht geschrieben; nicht einmal eine Andeutung von Liebe. Ihre Schönheit war kühl wie die feuchte Brise, wie die feuchte Weichheit ihrer Lippen.
    »In diesem Licht bist du wie ein Schwan«, flüsterte er nach einer Weile. Es folgte ein Schweigen, das ebenso beredt war wie irgendein Laut. Eine Stille trat ein, die jeden Augenblick zu zerspringen drohte, und Ernüchterung konnte nur dadurch vermieden werden, dass er seine Arme fester um sie schlang, durch den Eindruck, dass sie darin ruhte wie eine hauchzarte, aus dem Dunkel herbeigeschwebte Feder, die er erhascht hatte. Anthony lachte, geräuschlos und jubelnd, und neigte sein Gesicht von ihr fort, halb in einer überwältigenden Aufwallung von Triumph, halb damit sein Anblick nicht die herrliche Unbewegtheit

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