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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sie näher daran gewesen, ihm bewusst den Kopf zu verdrehen.
    »Früher gab es für einen Gentleman, der Muße hatte, würdige Beschäftigungen, Dinge, die ein wenig konstruktiver waren, als die Landschaft zu verräuchern oder sein Spiel mit dem Geld eines andern zu treiben. Natürlich gibt’s die Naturwissenschaften; manchmal wünsche ich mir, ich hätte ein gutes Grundlagenstudium angefangen, sagen wir, am Boston Tech. Aber dann müsste ich mich jetzt zwei verflixte Jahre lang auf den Hosenboden setzen und die Grundsätze der Physik und Chemie büffeln.«
    Sie gähnte.
    [151] »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht weiß, was irgendjemand anders tun soll«, sagte sie ungnädig, und angesichts ihrer Gleichgültigkeit erwachte sein Groll von neuem.
    »Interessiert Sie denn außer Ihrer eigenen Person gar nichts?«
    »Nicht viel.«
    Er funkelte sie an; sein wachsendes Vergnügen an der Unterhaltung war in Stücke gerissen. Den ganzen Tag über war sie reizbar und nachtragend gewesen, und er spürte, dass er ihre kühle Selbstsucht in diesem Augenblick hasste. Missmutig starrte er ins Feuer.
    Dann geschah etwas Eigentümliches. Sie wandte sich zu ihm und lächelte, und als er ihr Lächeln sah, fiel jeder Fitzel Ärgers und verletzter Eitelkeit von ihm ab – als wären seine Stimmungen nur die letzten auslaufenden Wellen der ihren, als stiegen in seiner Brust keine Gefühle mehr auf, es sei denn, sie hielt es für angebracht, an dem allgewaltigen Faden zu ziehen, mit dem sie ihn beherrschte.
    Er rückte näher an sie heran, nahm ihre Hand und zog Gloria sehr sanft zu sich, bis sie halb an seiner Schulter lehnte. Als er sie küsste, lächelte sie zu ihm auf.
    »Gloria«, flüsterte er ganz leise. Wieder hatte sie einen Zauber verbreitet, so fein und durchdringend wie verschüttetes Parfüm, unwiderstehlich und süß.
    Später konnte er sich an die bedeutenden Vorkommnisse dieses Nachmittags nicht mehr erinnern, weder am darauffolgenden Tag noch viele Jahre danach. War sie bewegt gewesen? Hatte sie in seinen Armen irgendetwas gesagt – oder überhaupt nichts? Was für ein Gefallen hatte sie an seinen [152] Küssen empfunden? Und hatte sie sich auch nur einmal ein ganz klein wenig hingegeben?
    Ach, bei ihm bestand kein Zweifel! Er war aufgestanden und wie berauscht im Zimmer auf und ab gelaufen. Dass es ein solches Mädchen gab! Dass sie, wie eine nach glattem, raschem Flug soeben gelandete Schwalbe, zusammengerollt in der Ecke einer Couch kauerte und ihn mit undurchdringlichen Blicken maß! Er hielt inne, schlang, die ersten Male noch halb schüchtern, seinen Arm um sie und fand ihren Mund.
    Sie sei bestrickend, sagte er ihr. Noch nie sei er jemandem wie ihr begegnet. Beschwingt, doch ernst gemeint, flehte er sie an, ihn fortzuschicken; er wolle sich nicht verlieben. Er werde sie nicht mehr besuchen kommen – schon gehe sie ihm nicht mehr aus dem Sinn.
    Welch köstliche Romanze! Er verspürte weder Furcht noch Kummer – nur das tiefe Entzücken, bei ihr zu sein, welches der Abgedroschenheit seiner Worte Farbe verlieh, Sentimentalitäten traurig und Posen gescheit erscheinen ließ. Er würde wiederkommen – für immer. Das hätte er wissen sollen!
    »Das war’s dann wohl. Es war phantastisch, dich kennenzulernen, sehr sonderbar und wundervoll. Aber es führt zu nichts – und kann nicht von Dauer sein.« Während er sprach, verspürte er in seinem Herzen jenes Beben, das wir in uns für Aufrichtigkeit halten.
    Hinterher entsann er sich nur ihrer Antwort auf eine Frage, die er ihr gestellt hatte. Er erinnerte sich an sie in dieser Form – vielleicht hatte er die Worte unbewusst umgestellt und poliert: »Eine Frau sollte in der Lage sein, einen [153] Mann innig und gefühlvoll zu küssen, ohne jedes Verlangen, seine Frau oder seine Geliebte zu werden.«
    Wie immer, wenn er mit ihr zusammen war, schien sie allmählich älter zu werden, bis schließlich ein grüblerischer Ausdruck in ihre Augen trat, der zu tief für Worte war.
    Eine Stunde verstrich, und die Flammen des Kaminfeuers schlugen in kleinen Funken hoch, als ginge ihr süßes Leben zur Neige. Inzwischen war es fünf, und die Uhr auf dem Sims meldete sich zu Wort. Da riss Anthony Gloria unvermittelt hoch, als hätten die blechernen Schläge ein Gefühl in ihm daran erinnert, dass von dem in Blüte stehenden Nachmittag die Blumenblätter fielen, und hielt sie hilflos, atemlos in einem Kuss, der weder Scherz noch Huldigung war.
    Ihre Arme fielen herab. Im

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