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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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wie ein gehätscheltes Hündchen und sprichwörtlich übergeschnappt… Dann – dann würde sich die Nacht herabsenken und vielleicht wieder Feuchte. Die Neonreklame würde ihr Licht auf die Straße werfen. Wer weiß? Vielleicht würden sie, auch nicht klüger als er, versuchen, das in Creme und Schatten gehaltene Bild wiederzubeleben, das sie am Vorabend in der stillen Avenue erblickt hatten. Und vielleicht, ah, vielleicht würde es ihnen gelingen. An tausend Ecken würden tausend Droschken offen stehen, und nur für ihn wäre der Kuss auf immer verloren und vertan. In tausendfacher Vermummung würde Thaïs eine Droschke herbeiwinken und ihr Gesicht zum Kusse darbieten. Und die Blässe ihrer Haut würde [145] jungfräulich und lieblich sein und ihr Kuss keusch wie der Mond…
    Erregt sprang er auf. Wie unschicklich, dass sie ausgegangen war! Endlich hatte er begriffen, was er wollte – sie noch einmal küssen, Ruhe finden in ihrer großen Unbewegtheit. Sie bedeutete das Ende aller Rastlosigkeit, allen Missvergnügens.
    Anthony kleidete sich an und tat, was er längst hätte tun sollen: ging fort zu Richard Caramel, um sich auf dessen Zimmer die letzte Fassung des letzten Kapitels des Dämonischen Liebhabers anzuhören. Gloria rief er nicht vor sechs Uhr wieder an. Doch war sie erst um acht Uhr zurück und konnte ihm – o Höhepunkt aller Tiefpunkte! – vor Dienstagnachmittag keinen Termin geben. Als er den Hörer auf die Gabel knallte, splitterte ein Stück Guttapercha ab und fiel zu Boden.
    Schwarze Magie
    Am Dienstag war es bitterkalt. Um zwei Uhr, es war unwirtlich, suchte er sie auf, und als er ihr die Hand schüttelte, fragte er sich verwirrt, ob er sie jemals geküsst hatte; es war fast unglaublich – er bezweifelte ernstlich, ob sie sich noch daran erinnerte.
    »Ich habe Sie am Sonntag viermal angerufen«, sagte er zu ihr.
    »Ach ja?«
    Ihre Stimme verriet Überraschung, ihre Miene Interesse. Stumm verwünschte er sich dafür, es ihr anvertraut zu [146] haben. Er hätte wissen können, dass sich ihr Stolz mit derlei kleinlichen Triumphen nicht abgab. Doch auch damit war er der Wahrheit noch nicht näher gekommen – dass sie sich um Männer nie hatte Sorgen machen müssen und sich daher nur selten jener wachsamen Schliche bediente, die, wie das Auswerfen und Einholen der Angel, zum Repertoire ihrer Geschlechtsgenossinnen gehörten. Wenn ihr ein Mann gefiel, so war dies List genug. Glaubte sie ihn gar zu lieben – so gab sie ihm den entscheidenden, den Todesstoß. Ihr Liebreiz erneuerte sich endlos.
    »Ich wollte Sie unbedingt sehen«, sagte er einfach. »Ich wollte mit Ihnen reden – ich meine, richtig reden, irgendwo, wo wir allein sein können. Darf ich?«
    »Wie meinen Sie das?«
    Er schluckte an einem Angstkloß, der ihm plötzlich im Hals saß. Er spürte, dass sie wusste, was er wollte.
    »Ich meine, nicht an einem Teetisch«, sagte er.
    »Na schön, aber nicht heute. Ich brauche Bewegung. Machen wir einen Spaziergang!«
    Es war rauh und bitterkalt. All der böse Hass im irren Herzen des Februars war in den elend-eisigen Wind eingegangen, der durch den Central Park und die Fifth Avenue hinunterfegte. Es war fast unmöglich, sich zu unterhalten, und sein Missmut wühlte ihn so auf, dass er erst beim Einbiegen in die 61. Straße merkte, dass sie nicht mehr neben ihm herging. Er sah sich um. Sie war fünfzehn Meter hinter ihm reglos stehengeblieben und hatte das Gesicht halb im Kragen ihres Pelzmantels verborgen – ob vor Ärger oder vor Lachen konnte er nicht erkennen. Er ging zurück.
    [147] »Ich will Sie bei Ihrem Spaziergang nicht stören!«, rief sie.
    »Es tut mir wirklich leid«, antwortete er verwirrt. »Bin ich zu schnell gegangen?«
    »Ich friere«, verkündete sie. »Ich will nach Hause. Und Sie laufen zu schnell.«
    Nebeneinander gingen sie zum Plaza zurück. Er wünschte, er könnte ihr Gesicht sehen.
    »Normalerweise sind die Männer, wenn sie mit mir zusammen sind, nicht in sich selbst vertieft.«
    »Es tut mir leid.«
    »Wie hochinteressant.«
    »Zum Gehen ist es wirklich zu kalt«, sagte er rasch, um seinen Verdruss zu verbergen.
    Sie antwortete nicht, und er überlegte, ob sie ihn am Hoteleingang entlassen würde. Indessen ging sie, ohne ein Wort zu verlieren, hinein und zum Fahrstuhl. Beim Einsteigen warf sie ihm eine kurze Bemerkung zu: »Sie sollten mit hochkommen.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er.
    »Vielleicht sollte ich lieber ein andermal

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