Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
gepaukt hatte, mir hier nichts nützen würde. Ja, eine Menge von diesem abgehobenen Stoff musste ich mir sogar aus dem Kopf schlagen.«
    Anthony konnte nicht umhin, sich zu fragen, was für »abgehobenen Stoff« er 1911 in Buckleigh gelernt haben könnte. Im Lauf der Unterhaltung kam ihm immer wieder der unabweisbare Gedanke, dass es sich um Nadelarbeiten gehandelt haben musste.
    »Sehen Sie den Mann da drüben?« Kahler wies auf einen jugendlich aussehenden Mann mit schönem grauem Haar, der hinter einem Mahagonigeländer an einem Schreibtisch saß. »Das ist Mr. Ellinger, der erste Vizepräsident. Ist überall gewesen, hat alles gesehen; hat eine gute Erziehung genossen.«
    Vergebens versuchte Anthony, seine Sinne für die Romantik der Finanzwelt zu öffnen; er konnte sich Mr. Ellinger nur als einen der Käufer hübscher in Leder gebundener Ausgaben von Thackeray, Balzac, Hugo und Gibbon vorstellen, die die Wände der großen Buchhandlungen säumten.
    Den ganzen feuchten und wenig anregenden Monat März hindurch wurde er auf Verkaufsstrategien vorbereitet. Da es ihm an Begeisterung fehlte, konnte er die Unruhe und Geschäftigkeit um ihn herum nur als fruchtloses [302] allumfassendes Streben nach einem unbegreiflichen Ziel auffassen, von dessen handfester Existenz lediglich die rivalisierenden Villen eines Mr. Frick und eines Mr. Carnegie in der Fifth Avenue zeugten. Dass diese erstaunlichen Vizepräsidenten und Vorstandsmitglieder die Väter der ›Prachtburschen‹ sein sollten, die er in Harvard gekannt hatte, schien ihm nicht zusammenzupassen.
    In der Kantine oben aß er in dem unruhigen Argwohn, dass er moralisch aufgerichtet wurde, und fragte sich während der ersten Woche, ob die Dutzende junger Angestellter, einige davon flink und makellos und eben erst vom College abgegangen, in der flammenden Hoffnung lebten, sich vor den katastrophischen Dreißigern auf den schmalen Rücken eines Aktenordners zu flüchten. Das Gespräch, welches sich mit dem Fortgang des Tagwerks verwob, verlief immer gleich. Man besprach, auf welche Weise Mr. Wilson sein Geld verdient, welche Methode Mr. Hiemer angewandt und zu welchen Mitteln Mr. Hardy gegriffen hatte. Man erzählte sich uralte, aber immer wieder atemberaubende Anekdoten über die Vermögen, die irgendeinem »Fleischer«, »Barmann« oder »Kreuzdonner! einem verdammten Botenjungen« in der Wall Street in den Schoß gefallen waren, dann sprach man von den derzeitigen Risikogeschäften und ob man am besten hunderttausend im Jahr anstreben oder sich mit zwanzig zufriedengeben sollte. Im Vorjahr hatte einer der Abteilungsleiter seine gesamten Ersparnisse in Bethlehem Steel angelegt. Die Geschichte von seiner grandiosen Prachtentfaltung, von seiner hochmütigen Kündigung im Januar und dem triumphalen Palast, den er jetzt in Kalifornien baute, war das beliebteste Gesprächsthema im Büro. [303] Der Name des Mannes hatte eine magische Bedeutung angenommen, versinnbildlichte er doch das Trachten aller braven Amerikaner. Man erzählte sich über ihn Anekdoten – wie einer der Vizepräsidenten ihm zum Verkauf geraten hatte, doch er, alle Achtung!, hatte ausgeharrt und für die Hinterlegungssumme sogar noch dazugekauft, »und jetzt schaut euch an, wie weit er’s gebracht hat!«.
    Offenbar war das der Stoff, aus dem das Leben war – ein schwindelerregender Triumph, der sie alle blendete, eine zigeunernde Sirene, die sie selbst mit kargem Lohn abspeiste und mit, statistisch unwahrscheinlich, letztendlichem Erfolg.
    Auf Anthony wirkte diese Vorstellung abstoßend. Um hier Erfolg zu haben, spürte er, müsste sein Geist von der Idee des Erfolgs ergriffen und eingeengt sein. Er hatte den Eindruck, als wäre das wesentliche Element bei diesen Männern an der Spitze der Glaube, ihre Tätigkeit sei der Kernbestand des Lebens. Wo sonst alles gleich viel galt, siegten Selbstsicherheit und Opportunismus über Fachwissen; es war offenkundig, dass die sachkundigere Arbeit an der Basis vor sich ging – mit angemessener Effizienz beließ man daher die Fachleute dort.
    Seine Entschlossenheit, während der Woche abends zu Hause zu bleiben, hielt nicht lange vor; meist kam er mit rasendem Kopfweh zur Arbeit, und das morgendliche Grauen der überfüllten Untergrundbahn dröhnte ihm wie ein Echo aus der Hölle in den Ohren.
    Dann kündigte er abrupt. Er war einen ganzen Montag im Bett liegengeblieben und schrieb dann, heimgesucht von einem jener Anfälle schwermütiger Verzweiflung, denen er

Weitere Kostenlose Bücher