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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sogar ohne zu behaupten, dass sie das Beste daraus machen würden, ohne Glorias allgenügsames »Mir kann alles gestohlen bleiben«, kehrten sie in das Haus zurück, von dem sie längst wussten, dass es sich weder um Jugend noch um Liebe scherte – sondern nur um jene nüchternen, nicht mitteilbaren Erinnerungen, an denen sie niemals teilhaben würden.
    [307] Der unheilbringende Sommer
    In diesem Sommer herrschte Grauen im Haus. Es kam mit ihnen und senkte sich herab wie eine düstere Wolke, hüllte das Erdgeschoss ein, dehnte sich allmählich aus und schlich die enge Treppe hinauf, bis es sie in ihrem Schlaf bedrückte. Anthony und Gloria hassten es, allein im Haus zu sein. Glorias Schlafzimmer, das ihr so rosig, jung und delikat vorgekommen war, so passend zu ihrer pastellfarbenen Unterwäsche, die auf Stuhl und Bett verstreut lag, schien jetzt mit seinen raschelnden Vorhängen zu raunen: »Ach, schöne junge Frau, es ist nicht das erste Mal, dass Zierlichkeit und Zartheit hier in der Sommersonne verwelken… Vor diesem Spiegel haben sich Generationen ungeliebter Frauen geschmückt, für bäurische Liebhaber, die ihnen keine Beachtung schenkten… Jugend hat dieses Zimmer in blassestem Blau betreten und es im grauen Totenhemd der Verzweiflung verlassen; hier, wo dieses Bett steht, haben viele Mädchen in langen Nächten wach gelegen und Wogen des Jammers ins Dunkel ausgesandt.«
    Schließlich warf Gloria kleinlaut alle ihre Kleider und Salben hinaus, erklärte, sie sei gekommen, um mit Anthony zusammenzuleben, und gebrauchte die Ausflucht, eines ihrer Fliegengitter sei verrottet und lasse Wanzen ein. So wurde ihr Zimmer unempfindlichen Gästen überlassen, und sie selbst kleidete sich und nächtigte im Schlafzimmer ihres Mannes, was Gloria irgendwie »gut« fand, so, als habe Anthonys Gegenwart die Vernichtung beunruhigender Schatten der Vergangenheit bewirkt.
    Die Unterscheidung zwischen »Gut« und »Schlecht«, die [308] früh und schnell aus ihrem Leben verwiesen worden war, hatte sich in veränderter Form wieder durchgesetzt. Gloria beharrte darauf, dass alle, die ins graue Haus eingeladen wurden, »gut« zu sein hatten, was im Falle eines Mädchens bedeutete, dass es entweder schlicht und untadelig sein oder eine gewisse Kraft und Festigkeit besitzen musste. Gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen schon immer äußerst skeptisch, galt ihr Urteil jetzt der Frage, ob eine Frau »sauber« war oder nicht. Unter Unsauberkeit verstand sie verschiedenerlei: mangelnden Stolz, mangelndes Rückgrat, vor allem aber die unverkennbare Aura der Promiskuität.
    »Frauen besudeln sich leicht«, sagte sie, »viel leichter als Männer. Sofern ein Mädchen nicht sehr jung und brav ist, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit, dass es auf die schiefe Bahn gerät, ohne dass es eine gewisse hysterische Vitalität an den Tag legt, und zwar eine durchtriebene, schmutzige Vitalität. Männer sind anders – deswegen, glaube ich, ist eine der meistverbreiteten Figuren in Liebesromanen der Mann, der galant zur Hölle fährt.«
    Sie neigte dazu, viele Männer zu mögen, vorzugsweise solche, die ihr unverblümt huldigten und ihre unersättliche Unterhaltungssucht befriedigten – doch plötzlichen Eingebungen folgend, teilte sie Anthony des öfteren mit, dass einer seiner Freunde ihn nur ausnutze und er ihn deshalb lieber meiden solle. Gewöhnlich wandte Anthony ein, der Beschuldigte sei »ein anständiger Kerl«, doch musste er feststellen, dass sein Urteil trügerischer war als ihres, auf denkwürdige Weise dann, wenn er, wie es mehrfach geschah, auf einer Restaurantrechnung nach der anderen sitzenblieb, für die er ganz allein aufkommen musste.
    [309] Mehr aus Angst vor Einsamkeit als aus dem Bestreben, die Mühen und Plagen der Gastgeberrolle auf sich zu nehmen, füllten sie das Haus jedes Wochenende, oft auch während der Woche, mit Gästen. Die Wochenendpartys glichen sich wie ein Ei dem anderen. Wenn die drei oder vier geladenen Männer eingetroffen waren, war ein Gelage angesagt, gefolgt von einem ausgelassenen Dinner und einer Fahrt zum Cradle Beach Country Club, dem sie beigetreten waren, weil er wohlfeil war, lebhaft, wenn auch nicht eben elegant und bei solchen Anlässen unentbehrlich. Außerdem war es nicht sonderlich wichtig, wie man sich dort aufführte, und solange sich die Gruppe um Patch einigermaßen leise verhielt, spielte es keine Rolle, ob die gesellschaftlichen Diktatoren von Cradle Beach sahen, dass die

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