Die Schönen und Verdammten
[304] von Zeit zu Zeit erlag, spätabends einen Brief an Mr. Wilson, in dem er bekannte, für die Arbeit untauglich zu sein. Den Brief schickte er ab. Gloria, die von einem Theaterbesuch mit Richard Caramel nach Hause kam, fand ihn auf dem Sofa, wo er schweigend an die hohe Decke starrte, niedergeschlagener und entmutigter, als er es seit ihrer Hochzeit je gewesen war.
Sie wollte ihn jammern hören. Hätte er es getan, so hätte sie ihn scharf zurechtgewiesen, denn sie war nicht wenig verärgert; doch er lag nur da und war so durch und durch unglücklich, dass er ihr leid tat. Sie kniete nieder, streichelte ihm den Kopf und sagte, wie unwichtig es sei, wie unwichtig alles andere sei, solange sie einander nur liebten. Es war wie im ersten Jahr ihrer Ehe, und Anthony, der auf ihre kühle Hand ansprach, auf ihre Stimme, sanft wie ein Atemhauch an seinem Ohr, wurde beinahe fröhlich und besprach seine Zukunftspläne mit ihr. Ehe er zu Bett ging, bedauerte er insgeheim sogar, seine Kündigung so übereilt eingereicht zu haben.
»Selbst wenn einem alles hundsmiserabel vorkommt, darf man seinem eigenen Urteil nicht trauen«, hatte Gloria gesagt. »Was zählt, ist die Summe aller Urteile.«
Mitte April traf ein Brief des Grundstücksmaklers in Marietta ein, der sie ermunterte, das graue Haus für einen leicht angehobenen Betrag auf ein weiteres Jahr zu mieten, und ihnen einen Mietvertrag zur Unterfertigung beigefügt hatte. Eine Woche lang lagen Brief und Vertrag sorglos vernachlässigt auf Anthonys Schreibtisch. Sie hatten nicht die Absicht, nach Marietta zurückzukehren. Im vorhergehenden Sommer hatten sie sich meistens gelangweilt und waren [305] den Ort leid. Außerdem war ihr Wagen zu einer klappernden Masse hypochondrischen Metalls verkommen, und ein neuer war finanziell nicht angeraten.
Aufgrund eines weiteren wüsten Gelages, das vier Tage anhielt und an dem sich insgesamt mehr als ein Dutzend Menschen beteiligten, unterzeichneten sie den Mietvertrag aber doch; zu ihrem blanken Entsetzen unterzeichneten sie ihn und schickten ihn ab, und gleich wollte es ihnen vorkommen, als hörten sie, wie sich das graue Haus, zuletzt farblos und feindselig, die weißen Lippen leckte und nur darauf wartete, sie zu verschlingen.
»Anthony, wo ist bloß dieser Mietvertrag?«, rief sie eines Sonntagmorgens in heller Aufregung, verkatert und realitätsnüchtern. »Wo hast du ihn hingelegt? Er lag doch hier!«
Dann fiel ihr ein, wo er war. Sie erinnerte sich an die mehrtägige Party, die sie auf dem Höhepunkt der Stimmung geplant hatten; sie erinnerte sich an den Raum voller Männer, für die sie und Anthony in weniger angeregten Augenblicken ohne Interesse waren, und an Anthonys Angeberei mit den außerordentlichen Vorzügen und der Abgeschiedenheit des grauen Hauses – es sei so entlegen, dass es nichts ausmache, wie viel Lärm man dort veranstalte. Dann hatte Dick, der zu Besuch gewesen war, begeistert ausgerufen, es sei das schönste Häuschen, das man sich vorstellen könne, und sie wären töricht, es nicht für einen weiteren Sommer zu mieten. Es war ein Leichtes gewesen, sich lebhaft vorzustellen, wie heiß und menschenleer die Großstadt sein werde, wie kühl und köstlich dagegen der Charme Mariettas. Anthony hatte nach dem Vertrag gegriffen, ungestüm damit herumgefuchtelt und Glorias [306] freudiges Einverständnis gewonnen, und in einem letzten Ausbruch an wortreicher Entschlusskraft, in dessen Verlauf sämtliche Männer mit feierlichem Handschlag besiegelten, dass sie zu Besuch kommen würden, hatten sie…
»Anthony«, rief sie, »wir haben ihn unterzeichnet und abgeschickt!«
»Was?«
»Den Mietvertrag!«
»Teufel noch eins!«
»Oh, Anthony!« In ihrer Stimme schwang äußerste Trübsal mit. Für den Sommer, für die Ewigkeit hatten sie sich ein Gefängnis erbaut. Die letzten Wurzeln ihrer Stabilität schienen zu reißen. Anthony dachte, dass sich die Sache mit dem Grundstücksmakler vielleicht regeln ließe. Sie konnten sich die doppelte Miete nicht länger leisten, und ein Umzug nach Marietta bedeutete, dass er sein Apartment aufgeben musste, sein makelloses Apartment mit dem exquisiten Bad und den Zimmern, für die er Möbel und Vorhänge gekauft hatte – von allen Behausungen, die er gehabt hatte, kam es einem Zuhause am nächsten, war ihm vertraut, voller Erinnerungen an vier lebhafte Jahre.
Aber die Sache ließ sich weder mit dem Grundstücksmakler noch sonst irgendwie regeln. Niedergeschlagen, ja
Weitere Kostenlose Bücher