Die Schönen und Verdammten
es Morgen – und sie mussten die Beträge zusammenrechnen, die sie hier und da in Klubs, in Läden und Restaurants mit Scheck bezahlt hatten; mussten den muffig-schalen Geruch nach Wein und Zigaretten aus dem hohen blauen Wohnzimmer abziehen lassen, die Glasscherben auflesen und die fleckigen Sessel- und Sofabezüge abbürsten; mussten Anzüge und Kleider von Bounds in die Reinigung bringen lassen; mussten endlich ihren rauchigen, halb fiebrigen Leib und ihren geschwächten, bedrückten Geist der kalten Februarluft aussetzen, auf dass das Leben weitergehe und Wilson, Hiemer & Hardy am nächsten Morgen um neun Uhr die Dienste eines tatkräftigen Mannes in Anspruch nehmen könnten.
»Weißt du noch«, rief Anthony aus dem Badezimmer, »wie Maury an der Ecke zur 110. Straße ausgestiegen ist, sich als Verkehrspolizist aufgeführt und Autos vorbei- und [296] zurückgewinkt hat? Die haben bestimmt gedacht, er sei Privatdetektiv.«
Bei jeder Erinnerung mussten die beiden unbändig lachen; auf Heiteres reagierten ihre überreizten Nerven genauso scharf und heftig wie auf Bedrückendes.
Vor dem Spiegel wunderte sich Gloria über die herrliche Farbe und Frische ihres Gesichts – es kam ihr vor, als hätte sie noch nie so gesund ausgesehen, auch wenn der Magen sie drückte und ihr entsetzlich der Schädel brummte.
Der Tag verging langsam. Anthony, der mit einem Taxi zu seinem Börsenmakler fuhr, um gegen ein Wertpapier einen Kredit aufzunehmen, stellte fest, dass er nur noch zwei Dollar in der Tasche hatte. Die Fahrt würde die gesamte Summe verschlingen, aber er hatte das Gefühl, dass er die U-Bahn an diesem Nachmittag nicht hätte ertragen können. Wenn der Taxameter zu diesem Betrag auflief, musste er eben aussteigen und zu Fuß weitergehen.
Mit diesem Gedanken überließ er sich einem seiner typischen Tagträume… In seinem Traum merkte er, dass der Taxameter zu schnell tickte – der betrügerische Fahrer hatte ihn frisiert. Ruhig ließ er sich an sein Ziel fahren, dann reichte er dem Mann gelassen, was er ihm in Wahrheit schuldig war. Der Mann wollte sich mit ihm anlegen, doch ehe er noch die Hände erheben konnte, schlug Anthony ihn mit einem gewaltigen Haken nieder. Und als er wieder aufsprang, wich Anthony ihm rasch aus und streckte ihn mit einem Schlag gegen die Schläfe endgültig zu Boden.
Jetzt stand er vor Gericht. Der Richter hatte ihn zu fünf Dollar Geldstrafe verurteilt, er aber hatte kein Geld. Würde das Gericht seinen Scheck annehmen? Ah, aber er sei dem [297] Gericht nicht bekannt. Nun, er könne seine Identität durch einen Anruf in seinem Apartment nachweisen.
Gesagt, getan. Ja, Mrs. Anthony Patch am Apparat – aber woher solle sie denn wissen, ob dieser Mann ihr Ehemann sei? Wie könne sie das wissen? Der Polizeiwachtmeister solle sie nur fragen, ob sie sich an die Milchflaschen erinnere…
Hastig beugte er sich vor und klopfte an die Trennscheibe. Das Taxi befand sich erst auf der Brooklyn Bridge, aber der Taxameter zeigte bereits einen Dollar achtzig Cent an, und niemals hätte Anthony die zehn Prozent Trinkgeld ausgelassen.
Im Lauf des Nachmittags kehrte er ins Apartment zurück. Gloria war ebenfalls ausgegangen – zum Einkaufen –, und jetzt schlief sie zusammengerollt in einer Ecke des Sofas und schloss ihre Besorgungen sicher in die Arme. Ihr Gesicht war unbeschwert wie das eines kleinen Mädchens, und das Bündel, das sie fest an ihre Brust drückte, war eine Kinderpuppe, ein tief und unendlich heilsamer Balsam für ihr verstörtes kindliches Herz.
Schicksal
Mit diesem Gelage, insbesondere mit Glorias Anteil daran, begann sich in ihrer Lebensweise eine entscheidende Veränderung abzuzeichnen. Die herrliche Einstellung, ihr könne alles gestohlen bleiben, änderte sich über Nacht; was ein bloßer Glaubenssatz Glorias gewesen war, wurde zum einzigen Trost und zur einzigen Rechtfertigung für das, was sie [298] zu tun beliebten, und für die daraus erwachsenden Folgen. Nichts bereuen, nicht einen Ausruf des Bedauerns ausstoßen, im Einklang mit einem klaren Ehrenkodex leben und so inbrünstig und beharrlich wie möglich das Glück des Augenblicks suchen.
»Außer uns kümmert sich doch niemand um uns, Anthony«, sagte sie eines Tages. »Es wäre lächerlich, wenn ich so täte, als empfände ich der Welt gegenüber irgendwelche Verpflichtungen, und so zerbreche ich mir gar nicht erst den Kopf darüber, was die Leute von mir denken, das ist alles. Als ich klein war und in die
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