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Die schönsten Dinge

Die schönsten Dinge

Titel: Die schönsten Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Jordan
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Grün, und auf dem schwarzen Boden finden sich immer wieder lange Blattbüschel, in denen vollkommene weiße Orchideenblüten stecken. Einmal bleibe ich fast stehen, um die Aussicht zu genießen, aber dann erinnere ich mich, dass mir dieser Anblick so vertraut ist, dass ich ihn kaum noch wahrnehme. Auf diesem Abschnitt ist der Weg breit und geschottert, und abgesehen von dem ersten steilen Anstieg, bei dem ich fast ausgerutscht wäre, trotte ich mit dem richtigen Grad an Lässigkeit weiter. Ich kann mit ihm mithalten, ohne mich abzumühen. Das ist das Wichtigste.
    Nach der ersten Stunde sieht es schon nicht mehr so glorreich aus. Ich habe bereits zweimal angehalten, um etwas zu trinken, und habe Daniel gesagt, ich würde mir Sorgen um ihn machen, er müsse genug Flüssigkeit zu sich nehmen. Er hat genickt, aber sein Gesicht ist nicht so gerötet, wie sich meines anfühlt. Ich bin so außer Atem, dass ich nicht sprechen kann. Es ist mindestens vierzig Grad heiß.
    Auf dem Hügel angekommen, finden wir endlich eine Lichtung, auf der wir Mittagspause machen – auf dem Hinweg habe ich zwei Brötchen mit Hähnchenschnitzel und Mayo gekauft. Wir nehmen die Rucksäcke ab und setzen uns auf ein kleines Podest auf der Lichtung. Ohne das Gepäck habe ich das Gefühl, ich würde schweben. Die Luft ist klar und dünn. Bis auf ein älteres Paar auf der anderen Seite der Lichtung sind wir allein. Die beiden, etwa Mitte sechzig, laufen aufgeregt um ein Grüppchen heimischer Bäume herum und beobachten mit geliehenen Operngläsern Vögel. Auch wenn ich die Operngläsern von hier aus nicht sehen kann, weiß ich, wie sie aussehen. Burgunderrote Emaille, goldene Verzierungen und ein kurzer, gedrungener Griff.
    Es war für sie bestimmt extrem anstrengend, in ihrem Alter bei dieser Hitze so weit zu laufen. Sie müssen Stunden gebraucht haben. Ich bin wirklich beeindruckt und gerührt, dass sie all die Mühe auf sich nehmen. Hoffentlich ist es nicht zu viel für sie.
    Während wir unsere Brötchen essen, kommt das ältere Paar schließlich herüber. Sie lächeln und nicken uns zu. Wir lächeln auch, nicken zurück und machen ihnen Platz. Der alte Mann holt eine Thermoskanne und eine Plastikdose mit Keksen aus einem abgenutzten Rucksack und schenkt seiner Frau Tee ein. Ganz Kavalier, gießt er noch Milch hinein, prüft, ob der Tee auch noch heiß genug ist, und besteht darauf, dass sie einen Keks nimmt. Ich weiß, was sie sagen werden, zumindest in groben Zügen, weil ich es selbst geschrieben habe. Allerdings werden sie ihren Text ein wenig abwandeln: Wie sie einsteigen und der genaue Wortlaut ist ihnen überlassen. Das Gespräch setzt sich aus einer ganzen Reihe von Augenzeugenberichten zusammen, auf die ich bei meinen Recherchen gestoßen bin, aus echten Interviews mit Leuten, die das Tier in dieser Gegend gesehen haben, also ist das Ganze nicht einmal gelogen. Ich habe ihnen nur fremde Worte in den Mund gelegt. Ruby hatte recht: Wie kann ich entscheiden wollen, was man glauben soll?
    Â»Ein Keks?«, fragt Onkel Syd und hält Daniel und mir die Dose vor die Nase. »Meine Frau hat sie selbst gebacken.«
    Â»Wunderbar, danke«, sagt Daniel und nimmt einen Keks.
    Â»Ein schöner Tag heute«, sage ich.
    Â»Sehr schön, sehr schön«, stimmt Onkel Syd zu. »Was machen die armen Leute heute wohl, hm?« Er trägt ein scheußliches kariertes Hemd, das ich noch nie gesehen habe, in dem gleichen Braun wie der Baum neben ihm. Die ausgefransten Ärmel hat er bis zu den Ellbogen hochgeschoben. Während er an seinem Keks knabbert, hält er die Hände hoch wie ein Chirurg, der sich gerade gewaschen hat.
    Â»Oh, sieh mal, da drüben«, ruft Ava. Sie deutet auf einen Busch ein Stück den Hügel hinunter und greift nach dem Opernglas. »Da in dem Baum. Oh. Auf dem kurzen Ast. Ganz oben. Mit einem blauen Kopf. Das ist … Das ist … Oh. Jetzt ist er weg. Na egal.«
    Onkel Syd lacht. »Wir Ornis sind fast wie Angler, was? Immer geht es um den einen, der entwischt ist.«
    Â»Haben Sie schon viel gesehen?«, fragt Daniel.
    Â»Immer, immer. Hier gibt es Kurzschwanz-Sturmtaucher, Sie müssen nur die Augen offen halten.«
    Â»Ich könnte einen Kurzschwanz-Sturmtaucher nicht von einem Geier unterscheiden.«
    Â»Reine Übung. Ein junger Mann wie Sie hat doch noch

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