Die schönsten Dinge
gute Augen. Man muss nur genau hinsehen.« Onkel Syd zuckt leicht zusammen, dann sieht er sich um, ob auch niemand mithört. »Man weià nie, was man hier oben sieht, wenn man die Augen offen hält.«
Etwas plump, finde ich. Zu schnell, zu gekünstelt. Aber Daniel scheint nichts zu merken. Er wirft mir einen verstohlenen Blick zu.
»Simon!« Ava lächelt. Sie wirkt müde, ihr Gesicht hat mehr Falten als sonst. Sie trägt weite Shorts, eine weiÃe Baumwollbluse und Turnschuhe statt ihres üblichen geblümten Hauskleids, aber dieselben geringelten, handgestrickten Söckchen wie sonst. Sie tätschelt Onkel Syd die Schulter. »Hören Sie nicht auf meinen Mann. Manchmal geht die Phantasie mit ihm durch.«
Syd streckt die Arme nach hinten und lehnt sich zurück. »Stimmt schon, meine Liebe.«
Ich sehe Daniel an, er sieht mich an. Ich lasse den Blick über den Horizont schweifen. Für die beiden angeblichen Landeier spreche ich extra langsam. »Hier drauÃen gibt es viel Buschland. Meilenweise. Man weià nie, was sich da versteckt.«
»Da ist was dran«, sagt Syd.
»Simon«, mahnt Ava.
»Deshalb sind wir sogar hier«, sage ich. »Wir sind Forscher von der Universität.«
»Was Sie nicht sagen.« Syd zieht eine Augenbraue hoch.
»Simon. Trink deinen Tee.«
»Wir suchen Menschen, mit denen wir uns unterhalten können«, sage ich. »Ãber seltsame Tiere.«
»Wir haben nichts gesehen«, sagt Ava. »Sie verschwenden nur Ihre Zeit.«
»Ganz genau«, sagt Syd. »Lang her. Und überhaupt. Bringt doch nichts, das wieder auszugraben. Regen sich nur alle auf.«
Schon besser. Nichts wirkt so gut wie Widerwille. Tante Ava schlägt sich wacker â sie wirkt überzeugend, als wollte sie wirklich nichts sagen. Ihre Wangen sind rund und rot, als würde sie Rouge tragen. Ihre Augen sehen matt aus.
»Meiner Frau geht es nicht so gut«, sagt Syd.
»Das tut mir leid.« Ich blinzle. Es ist zu heiÃ. Ich hätte sie nicht herkommen lassen sollen.
»Sie würden uns wirklich einen Gefallen tun«, sagt Daniel. »Selbst wenn Sie uns sagen, was Sie nicht gesehen haben.«
»Ich sage doch, wir haben nichts gesehen.« Ava drückt den Deckel der Dose mit einem rülpsenden Geräusch zu.
»Und wie weit waren Sie von dem entfernt, was Sie nicht gesehen haben?«, frage ich.
»Es ist zu lange her. Wir können uns gar nicht mehr erinnern«, sagt Ava.
»Ach, Aggie. Wieso sollen wir so tun? Wir haben nichts falsch gemacht«, sagt Syd. »Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Es war 1979. Anfang November, die erste Woche. Ich weià noch, dass wir am Briefkasten an der SchnellstraÃe angehalten haben, um die Geburtstagskarte für die kleine Emily einzuwerfen. Sie ist vier geworden. Und sie hat am siebten Geburtstag, also haben wir die Karte ein paar Tage vorher abgeschickt. Emmy ist unsere Nichte. Jetzt hat sie natürlich schon eigene Kinder.«
»Das haben wir dem Mann von der Zeitung auch alles erzählt. Und was hat es uns gebracht? Sie haben uns als Spinner hingestellt. Im Pub haben alle über uns gelacht.« Ava wischt sich mit einem weiÃen Taschentuch über den Nacken. Hier in der Sonne ist es heiÃ. Ich darf sie nicht zu lange festhalten. Ruby wäre besser damit zurechtgekommen, aber Daniel hat sie schon im Institut für Zoologie gesehen.
»Die jungen Leute hier lachen nicht, Aggie. Das sind Wissenschaftler. Von der Uni.«
Sie nippt an ihrem Tee und kratzt sich an der papierdünnen Haut am Hals. »Wir sind oft hier in den Park gekommen. Das war unser Sonntagsausflug. Ich habe Sandwiches und eine Thermoskanne Tee eingepackt. Kondensmilch in der Tube. Heute fährt keiner mehr einfach so raus.«
»Die Leute sind ständig in Eile«, sagt Daniel.
»Aggie und ich konnten nie einen richtigen Urlaub machen wegen der Farm. Aber am Sonntagnachmittag haben wir uns immer ein paar Stunden Zeit genommen.«
»Wir sind nie schnell gefahren. Simon ist ein vorsichtiger Autofahrer, nicht, Simon? Besonders im Park. Wegen der Tiere und so. Da hat man schnell eines überfahren, und dann? Wir sind höchstens vierzig gefahren, würde ich sagen. Nicht, Simon? Es ist einfach über die StraÃe gelaufen, direkt vor uns. Ganz gemütlich.«
Daniel wirkt fasziniert. Er beugt sich vor und stützt die Hände
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