Die schönsten Dinge
ist. Es ist nichts zu sehen, keine Bewegung zwischen den Bäumen, keine spähenden Augen. Daniel ist den beiden noch nicht begegnet, aber es ist immer besser, noch ein paar frische Gesichter zu haben. Wer weiÃ, wann wir sie noch brauchen können.
Das Haar hängt mir schweiÃnass im Nacken, mein T -Shirt klebt mir am Rücken. Am liebsten würde ich in dem kühlen, klaren Wasser schwimmen gehen, meine müden Beine von ihm tragen lassen und das Salz auf den Lippen schmecken. Wenn ich glauben würde, dass ich mich mit diesem Gewicht auf dem Rücken bücken und auch wieder aufrichten könnte, würde ich zum Wasser gehen und mit den Fingern durch die Gischt fahren. Ich sehe Daniel von der Seite an, sein sehnsüchtiger Gesichtsausdruck überrascht mich nicht. Auch er blickt auf das Wasser.
Wie Robinson Crusoe den Strand entlangzuspazieren hat etwas Friedliches. Es macht mir beinahe SpaÃ, bis wir an den Bach kommen, den wir überqueren müssen, um zu dem Campingplatz auf der anderen Seite zu gelangen. Ich bleibe wie vor einer Wand stehen. Ich könnte heulen.
Dienstagabend habe ich über der Gezeitentafel gebrütet, ich bin sogar über meinen Schatten gesprungen und habe Sam um Hilfe gebeten, aber offenbar konnten wir beide die Zeiten oder Orte oder Mondphasen nicht richtig lesen. Das Wasser ist nicht knöcheltief, wie ich ausgerechnet hatte, sondern deutlich tiefer. Es ist so klar, dass ich den Sand und die Steine auf dem Grund sehen kann, aber die Wellen zeigen mir, dass es tückisch ist. Es ist einen Meter tief, vielleicht noch tiefer.
Daniel wendet sich zu mir um. »Und was jetzt?«
»Gar kein Problem. Während meiner Zeit in Harvard musste ich einmal nach einem vollen Tagesmarsch in ein Stinktiergebiet durch einen reiÃenden Fluss waten und dabei das Zelt hochhalten. Allein. Im Dunkeln. Wenn ich mich recht erinnere, hat es auch noch geregnet. Das war wirklich nicht leicht. Hier müssen wir nur darauf achten, dass das Gepäck nicht nass wird. Nasse Kleidung und nasses Essen sind keine Freude.«
Trotz des schweren Gepäcks geht er mühelos in die Hocke und hält eine Hand ins Wasser. Dann sagt er, ohne mich anzusehen: »Dann müssen wir wohl die Hosen runterlassen.«
Gleich auf der anderen Seite steht das Hinweisschild zum Campingplatz. Es sind vielleicht noch dreiÃig oder vierzig Meter. Ich habe es fast geschafft. Und er hat recht. Wir müssen den Bach durchqueren, und wenn ich die Hose nicht ausziehe, ist sie nachher klatschnass und steif vom Salzwasser, und ich habe nur diese eine Hose zum Wandern gekauft, weil der Rucksack nicht zu schwer werden sollte.
Noch nie musste ich bei der Arbeit die Hose ausziehen. Was würde mein Vater sagen? Und Ruby? Ich mag es mir gar nicht vorstellen. Meine Familie ist stolz darauf, auf Generationen von kultivierten Trickbetrügern zurückblicken zu können. Und sie hatten wirklich gute Tricks drauf. Wie Zauberer haben sie die Unvorsichtigen und Disziplinlosen in ihren Bann geschlagen. Schlimm genug, dass ich diese verdreckte, verschwitzte Kleidung tragen muss. Halb nackt im Slip durch einen Bach zu waten ist weder elegant noch kultiviert. Und in meinen Bann schlagen kann ich so auch niemanden. Wer gibt denn schon jemandem Geld, der keine Hose trägt?
»Fürchte ich auch«, sage ich. Auf der anderen Seite regt sich etwas am Strand: Ein paar Leute laufen herum, stellen Zelte auf, kommen vom Strand herauf. Zehn, zwölf Wanderer bilden einen Kreis, junge Männer und Frauen, die lachend Pappbecher herumreichen und sich zuprosten. Publikum für meinen peinlichen Auftritt. GroÃartig.
»Das hier drauÃen ist nicht gerade meine Welt«, sagt Daniel. »Ich fürchte, Sie müssen mir zeigen, wie das geht.« Er macht groÃe Augen und verzieht keine Miene. Er sieht aus wie ein kleiner Junge, der fragt, ob es den Weihnachtsmann gibt. Und ich soll ihm zeigen, wie es geht.
»Klar. Kein Problem«, sage ich. Wir sind beide erwachsen. Ich muss mich nur so benehmen. Ganz locker. Ungerührt. »Also dann.«
Um Himmels willen. Ich greife mir an den Hosenbund und öffne den obersten Knopf. Dann knöpfe ich ihn wieder zu und kratze mich am Kopf. »Ich sollte zuerst gehen«, sage ich. »Ich bin der Profi. Dann kann ich die Tiefe abschätzen. Nicht, dass Ihnen etwas passiert.« Wieder greife ich nach den Knöpfen. Dieses Mal tue ich es. Bestimmt.
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