Die schönsten Dinge
Sofort.
»Na ja«, sagt er gedehnt, und ich blicke auf. »Ich bin gröÃer. Ich könnte vorsichtig rübergehen und einen Weg für Sie suchen. Es ist natürlich Ihre Entscheidung, aber vielleicht wäre es sinnvoller, wenn ich vorginge.«
Ich merke erst, dass ich den Atem angehalten habe, als ich ihn zischend ausstoÃe. »Stimmt auch wieder. Es wäre wirklich sinnvoller, wenn Sie vorgingen. Prima. Danke.«
Er geht den Bach ein Stück hinauf und hebt im Schatten eines Baumes einen langen Ast auf. Im nächsten Moment hat er schon die Stiefel aufgeschnürt, sie abgestreift und die Socken ausgezogen â daran habe ich gar nicht gedacht. Hätte er nicht angeboten vorzugehen, wäre meine Hose an den Knöcheln hängen geblieben, und ich wäre vornüber im Sand gelandet. Bevor ich den Kopf verdrehen kann, hat er die Hose ausgezogen. Ich erhasche einen Blick auf muskulöse Oberschenkel über wohlgeformten Knien. Und auf Boxershorts mit Schottenmuster. Typisch Oberschicht. Wie spieÃig. Wie langweilig. Nach meinen ganzen Biologierecherchen weià ich eines: Daniel Metcalf ist eindeutig ein Produkt seiner Umgebung.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er den Bauchgurt löst, sich die Hose über die Schulter wirft und mit den Wanderstiefeln in der Hand in den Bach watet. Ich wage noch einen Blick, nur um sicherzugehen, dass er nicht Gefahr läuft zu ertrinken. Wenn er jetzt ertrinkt, sehe ich wahrscheinlich keinen Cent. Er stochert mit dem Ast in dem Bachbett, um die flachste Stelle zu finden. Das Wasser reicht ihm bis zur Hälfte seiner gebräunten Beine.
In der Mitte bleibt er stehen und sieht sich nach mir um. Ich wende den Blick gerade noch rechtzeitig ab und betrachte intensiv einen Stein vor meinen FüÃen. Dann sehe ich wieder kurz hin, rein aus Sicherheitsgründen, ihm soll ja wirklich nichts Schlimmes passieren, immerhin bin ich für seine Sicherheit verantwortlich, ich muss aufpassen, dass ihm das Wasser nicht bis an den Hintern steigt, der sich unter den Shorts deutlich abzeichnet, und ich kann seine Muskeln sehen, die sich beim Gehen anspannen, und den Ãbergang zum Oberschenkel.
Mittlerweile sind auch die Wanderer auf der anderen Seite aufmerksam geworden. Sie stehen mit den Pappbechern in der Hand da, feuern ihn an und jubeln über seine Fortschritte.
Jetzt hat er das andere Ufer erreicht, seine nassen Beine glänzen in der Sonne. Er wirft sich für die Wanderer in Pose und erntet Lachen und Applaus. »Jetzt sind Sie dran!«, ruft er mir zu.
»Okay«, sage ich. »Bin schon unterwegs.« Ich hüpfe kurz auf einem Bein, aber weil ich die Balance nicht halten kann, lasse ich mich unelegant in den Sand plumpsen. Ich ziehe die Stiefel aus und schäle mir die Socken von den FüÃen, die ich kaum wiedererkenne: Sie sind weià und tragen Abdrücke von den Socken statt Nagellack. Sorgfältig gefaltet stecke ich die Socken in die Stiefel. Der Ordnung halber stopfe ich auch die Schnürsenkel nach innen, bevor ich ungeschickt aufstehe.
»Und vergessen Sie nicht, den Gurt aufzumachen. Wenn Sie fallen, soll der Rucksack Sie ja nicht nach unten ziehen.«
Ich schnaube. »Natürlich.«
Er deutet auf die Stelle, an der er den Bach durchquert hat. »Ich glaube, da ist es etwas flacher. Sie müssten es mit trockenem Rucksack schaffen.«
»Gut«, sage ich. »Und jetzt gucken Sie weg.«
»Was?«
»Gucken-Sie-Weg! Wir sind hier nicht beim Go-go-Dance. Wissen Sie was, drehen Sie sich einfach direkt um.«
»Sie sind schüchtern«, sagt er. Das ist keine Frage. Selbst von hier aus kann ich sein Stirnrunzeln sehen, als würde er es nicht begreifen.
»Für einen normalen Menschen bin ich schüchtern. Für eine Wissenschaftlerin bin ich extrovertiert. Und jetzt drehen Sie sich um.«
Er lacht, aber er gehorcht. Die Wanderer erraten, was los ist, und lachen auch. Einige drehen sich demonstrativ weg, andere beobachten mich noch genauer.
Je schneller ich das hinter mich bringe, desto eher kann sich meine Würde von der Verletzung erholen. Vielleicht sehe ich mal in der Reiseapotheke nach. Es gibt Insektenspray gegen Insekten und Brandsalbe gegen Verbrennungen. Also könnte es doch auch ein Mittelchen für meinen verletzten Stolz geben. Noch ein tiefer Atemzug, dann fällt die Hose. Nach dem ersten Schritt in den Bach springe ich beinahe zurück. Dass das Wasser
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