Die schönsten Dinge
eiskalt ist, hat Daniel nicht erwähnt. Aber mit der flachsten Stelle hat er recht. Obwohl ich kleiner bin als er, reicht das Wasser nicht bis an meinen Rucksack. In dem kalten Wasser beginnt die Haut an meinen Oberschenkeln zu kribbeln. Endlich geht es wieder aufwärts. Ich grabe die Zehen in den Sand, um besseren Halt zu finden, und schleppe mich weiter. Der Wasserwiderstand erschwert das Laufen. Am anderen Ufer angekommen, schüttle ich die FüÃe, und die fliegenden Tröpfchen funkeln wie Diamanten.
»Kann ich mich jetzt umdrehen?«, fragt er.
»Nein.«
Ich stelle mich direkt hinter ihn, damit mich niemand sieht, und lege ihm eine Hand auf die Schulter.
»Hintereinander, nicht gucken. Und los«, sage ich.
Mit einem Schnauben setzt er sich den Strand entlang in Bewegung. Von hier aus kann ich die Wanderer besser sehen. Ich hatte recht, es sind Rucksacktouristen, dem Aussehen nach aus Nordeuropa, eine Gruppe attraktiver junger Frauen und Männer. Ein paar kommen gerade vom Schwimmen, einige dösen unter breiten Hüten, andere trinken etwas. Es muss schön sein, nicht ständig zu arbeiten, nicht in jedem Augenblick an dieses Projekt oder das nächste zu denken oder für das übernächste irgendwelche Fähigkeiten zu verbessern. Als wir an ihnen vorbeigehen, nicken wir ihnen zu, und sie bieten uns unter anerkennenden Pfiffen Wein und ein Handtuch an. Wir lehnen ab.
Julius und Greta knien auf einer kleinen Lichtung vor vier knallblauen Zelten. Der Campingplatz liegt auf einer flachen Stufe an einem Hügel. Die Toiletten sind weiter oben, unten ist zwischen Büschen gerade noch der Bach zu erkennen. Die Lichtung, die sich die beiden ausgesucht haben, liegt ganz am Rand des Platzes und ist bis auf Julius und Greta menschenleer. Auch andere Zelte sind von hier aus nicht zu sehen.
Ringsum stehen Eukalyptusbäume, hoch und glatt wie Schiffsmasten, mit kleineren Büschen darunter. So entsteht ein geschützter Bereich, der gleichzeitig gemütlich und offen wirkt. Die Zelte bilden einen Halbkreis vor einem vor langer Zeit umgestürzten Baum, der die richtige Höhe zum Sitzen hat oder um eine Lampe daraufzustellen. Die Zelte selbst sind brusthoch, der Stoff wird durch biegsame Plastikstangen, die durch Schlaufen im Nylon geschoben werden, igluförmig aufgespannt. Ich hatte mir Zelte anders vorgestellt. Zu Hause im Garten haben wir damit geübt, aber weil wir sie nie zweimal auf die gleiche Weise aufstellen konnten, sind Julius und Greta früher losgezogen. So konnten sie die Zelte in Ruhe aufbauen, ohne von Daniel beobachtet zu werden. Die beiden sehen verschwitzt und mitgenommen aus.
Weil sie die umfangreiche Ausrüstung nicht allein tragen konnten, sind Beau und Anders heute Morgen mitgekommen, als Packesel für alles, was wir in den letzten Tagen schnorren, stehlen oder kaufen konnten. Die Sachen stapeln sich an mehreren Stellen auf dem Platz. Sie sehen echt aus, nicht nach Requisiten. Die Utensilien, die wir uns aus dem Lagerraum des Instituts für Biologie geliehen haben, sehen nach Jahrzehnten in Studentenhänden überzeugend abgenutzt aus: Nachtsichtgeräte aus Armeebeständen, die wohl schon im Zweiten Weltkrieg antik waren; marode Holzrahmen in verschiedenen GröÃen, wahrscheinlich um Abdrücke von Spuren zu nehmen, ein zweiter Satz von Holzrahmen mit feinerem und gröberem Maschendraht, wobei der Rahmen mit dem gröbsten Draht oben liegt; Werkzeugkisten aus Plastik mit Schnellverschlussbeuteln, Handschuhen, Bürsten, Etiketten und Kellen; eine Ledertasche mit etwas, das aussieht wie alte ZahnarztmeiÃel; eine vorsintflutliche Spiegelreflexkamera, deren Rückwand von einem Gummiband zugehalten wird; alte Bestimmungsbücher für Spuren und Losungen mit Eselsohren und fleckigen Einbänden. Als wir näher kommen, drehen sich Julius und Greta um.
»So, so«, sagt Greta. Dieses Mal hat sie sich konservativ zurechtgemacht: hochgeschlossene, langärmelige Bluse, lange Hose, das Haar zu einem wenig schmeichelhaften hohen Pferdeschwanz gebunden, der die Haut an den Schläfen nach hinten zerrt und ihr spätestens bis Sonnenuntergang Kopfschmerzen bescheren dürfte. Kein Make-up. Erst als ich sie sehe und merke, wie erleichtert ich bin, wird mir klar, dass ich mir Sorgen gemacht habe. Sie mustert uns von oben bis unten, wie wir tropfnass in Unterhosen vor ihr stehen. »Nicht schlecht.«
»Ella
Weitere Kostenlose Bücher