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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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den dünnen, herunterhängenden Schnurrbart in das trübe Wasser tauchend, mit schwachen, gierigen Zügen. Sein struppiger Bart war unsauber, und nur mühsam hob er seine trüben, eingefallenen Augen zu dem Gesicht des Burschen. Nachdem er die Kelle abgesetzt hatte, wollte er die Hand heben, um sich die nassen Lippen zu trocknen; doch er brachte es nicht fertig und wischte sie am Rockärmel ab. Er atmete schwer durch die Nase, und schweigend blickte er, seine ganze Kraft zusammennehmend, dem Burschen gerade in die Augen.
    »Vielleicht hast du sie schon jemand anderem versprochen«, fing der Bursche wieder an, »dann ist nichts zu machen. Vor allem, weil es draußen nass ist und ich Dienst habe und fahren muss, hab ich mir gedacht: Du bittest mal den Fedka um seine Stiefel, der braucht sie jetzt ja nicht. Aber wenn du sie vielleicht doch selber brauchst, dann sage es nur .. .«
    In der Brust des Kranken begann es zu gurgeln und zu röcheln; er krümmte sich und wurde von einem hohlen, nicht richtig zum Ausbruch kommenden Husten geschüttelt.
    »Brauchen! Wozu braucht er sie denn noch?«, polterte plötzlich die Köchin mit wütender, durch die ganze Stube schallender Stimme los. »Schon den zweiten Monat kommt er nicht mehr vom Ofen herunter. Seht nur, wie es ihn würgt! Da tut einem selber schon beim Anhören das ganze Innere weh. Was braucht er die Stiefel? In neuen Stiefeln beerdigen wird man ihn ja nicht. Und damit wäre es längst an der Zeit, Gott verzeih mir die Sünde. Oder man müsste ihn fortschaffen, in ein anderes Haus oder sonst wohin. In der Stadt, heißt es ja, gibt es dafür Krankenhäuser. Geht denn so etwas an, dass er die ganze Ecke einnimmt, und damit basta? Man hat überhaupt keinen Platz mehr. Und dabei soll man noch alles sauber halten!«
    »He, Serjoga! Geh zum Wagen, die Herrschaften warten schon«, rief der Stationsvorsteher zur Tür herein.
    Serjoga wollte bereits unverrichteter Dinge abziehen; aber der noch immer hustende Kranke gab ihm durch ein Zeichen mit den Augen zu verstehen, dass er ihm antworten wolle.
    »Nimm dir die Stiefel, Serjoga«, sagte er, nachdem er den Husten unterdrückt und sich etwas erholt hatte. »Nur musst du mir dafür einen Grabstein kaufen, wenn ich gestorben bin, hörst du?«, fügte er röchelnd hinzu.
    »Schönen Dank, Onkel, dann nehme ich sie mir; und den Stein werde ich kaufen, bei Gott.«
    »Ihr habt es gehört, Kinder«, konnte der Kranke eben noch sagen, bevor er sich wieder zusammenkrümmte und erneut von einem Hustenanfall geschüttelt wurde.
    »Schon gut, wir haben es gehört«, bemerkte einer der Kutscher. »Beeil dich, Serjoga, der Stationsvorsteher kommt schon wieder gelaufen. Die Gutsherrin von Schirkino ist ja wohl krank.«
    Serjoga streifte schnell seine zerrissenen, viel zu großen Stiefel ab und schleuderte sie unter die Bank. Die neuen Stiefel Onkel Fjodors passten ihm wie angegossen, und sie mit Wohlgefallen betrachtend, begab er sich zum Wagen.
    »Das sind ja feine Stiefel! Komm, ich schmiere sie dir ein«, sagte, mit dem Pinsel in der Hand, der andere Kutscher, während Serjoga auf den Bock stieg und die Zügel ordnete. »Hat er sie dir umsonst gegeben?«
    »Du bist wohl neidisch?«, erwiderte Serjoga und richtete sich auf, um sich die Enden des langen Mantels um die Beine zu schlagen. »Lass nur! So, meine Guten!«, rief er, die Peitsche schwingend, den Pferden zu – und die Kutsche und der andere Wagen rollten in schneller Fahrt über die aufgeweichte Landstraße und verschwanden im grauen Herbstnebel.
    Der kranke Kutscher blieb in der stickigen Stube auf dem Ofen zurück, drehte sich, ohne sich ausgehustet zu haben, auf die andere Seite und blieb still liegen.
    In der Kutscherstube wurde bis in den späten Abend ein und aus gegangen und gegessen – von dem Kranken war nichts zu hören. Vor Anbruch der Nacht kletterte die Köchin auf den Ofen und zog über die Beine des Kranken hinweg einen Schafspelz zu sich herüber.
    »Ärgere dich nicht über mich, Nastassja«, sagte der Kranke. »Bald werde ich deine Ecke frei machen.«
    »Ja, ja, schon gut«, murmelte Nastassja. »Wo hast du denn Schmerzen, Onkel? Sag es doch.«
    »Innen ist bei mir alles ausgezehrt. Gott weiß, was es ist.«
    »Da tut dir wohl auch die Kehle weh, wenn du hustest?«
    »Überall tut es weh. Meine Stunde hat geschlagen, das ist es. Oh, oh, oh!«, stöhnte der Kranke.
    »Du musst deine Beine zudecken«, sagte Nastassja, kroch vom Ofen herunter und zog ihm dabei

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