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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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war füllig, mit rotglänzendem Gesicht. Ihr kurzes, sprödes Haar quoll dauernd unter dem ausgeblichenen kleinen Hut hervor und wurde von ihrer roten, in einem zerrissenen Handschuh steckenden Hand immer wieder hastig zurückgeschoben. Ihre hohe, von einem Umschlagtuch bedeckte Brust atmete Gesundheit, und die lebhaften schwarzen Augen blickten entweder durch das Wagenfenster auf die vorüberhuschenden Felder, oder sie streiften mit einem scheuen Blick die Herrin und musterten unruhig das Innere des Wagens. Vor der Nase des Stubenmädchens schaukelte der am Gepäcknetz hängende Hut ihrer Herrin, auf ihrem Schoß lag ein junges Hündchen, und ihre Füße, auf die im Wagen aufgestapelten Gepäckstücke gestützt, trommelten darauf kaum hörbar im Takt der rasselnden Räder und der klirrenden Fensterscheiben.
    Die Hände über den Knien gefaltet und die Augen geschlossen, wiegte sich die Herrin matt in den Kissen, die ihr hinter den Rücken geschoben waren, und stieß, leicht das Gesicht verziehend, von Zeit zu Zeit ein unterdrücktes Hüsteln aus. Sie hatte ein weißes Nachthäubchen auf, und um den zarten, bleichen Hals war ein hellblaues Tüchlein geschlungen. Ein gerader, sich unter dem Häubchen verlierender Scheitel teilte das pomadisierte blonde, außerordentlich straff anliegende Haar, und diesem breiten Streifen haftete durch die Blässe der Haut etwas eigentümlich Trockenes, Lebloses an. Die schlaffe, ein wenig gelbliche Haut umspannte locker das schöne, feingeschnittene Gesicht und hatte auf den Wangen und an den Backenknochen eine rötliche Tönung. Die Lippen waren trocken und unruhig, die spärlichen Wimpern wiesen keinerlei Wölbung auf, und der aus feinem Tuch gearbeitete Reisemantel bildete über der eingefallenen Brust weite Falten. Obwohl sie die Augen geschlossen hielt, drückten die Gesichtszüge Erschöpfung, Nervosität und ständiges Leiden aus.
    Auf dem Bock saß, in seinen Sitz zurückgelehnt, ein Lakai und schlummerte, während der Postkutscher die vier großen schweißbedeckten Pferde durch laute Zurufe anfeuerte und sich hin und wieder nach dem Kutscher des nachfolgenden Wagens umblickte, der ebenfalls seine Pferde antrieb. Auf der lehmigen, aufgeweichten Landstraße pflanzten sich schnell die breiten, parallel laufenden Wagenspuren fort. Der Himmel war grau, und ein kalter, feuchter Nebel rieselte auf die Felder und den Weg nieder. Im Wagen war es stickig, es roch nach Eau de Cologne und Staub. Die Kranke legte den Kopf zurück und hob langsam die Lider. Ihre großen Augen glänzten und waren von einer wunderschönen dunklen Farbe.
    »Schon wieder!«, sagte die Dame und stieß mit ihrer schönen abgezehrten Hand unwillig, mit einem leidenden Zug um den Mund, den Umhang des Stubenmädchens zurück, dessen äußerster Rand leicht ihren Fuß berührt hatte. Matrjoscha raffte mit beiden Händen den Umhang zusammen, richtete sich auf ihren starken Beinen ein wenig auf und rückte weiter von ihr ab. Ihr frisches Gesicht bedeckte sich mit einer tiefen Röte. Die schönen dunklen Augen der Kranken verfolgten gierig die Bewegungen des Stubenmädchens. Sie stemmte sich mit beiden Armen auf das Wagenpolster und wollte sich ebenfalls erheben, um sich etwas höher zu setzen; doch ihre Kraft versagte. Ihr Mund verzerrte sich, und das ganze Gesicht nahm einen Ausdruck ohnmächtiger, boshafter Ironie an. »Wenn du mir wenigstens helfen würdest. Au! Nein, lass schon! Ich kann es selber, nur tu mir den Gefallen und packe mir nicht alle deine Bündel hinter den Rücken! Nein, rühre mich lieber nicht an, wenn du nichts davon verstehst!« Die Kranke schloss die Augen, hob aber gleich wieder die Lider und warf einen Blick auf das Stubenmädchen.
    Matrjoscha beobachtete, sich auf die rote Unterlippe beißend, die Herrin. Der Brust der Kranken entrang sich ein schwerer Seufzer und ging, ohne auszuklingen, in Husten über. Sie wandte sich ab, verzog das Gesicht und griff sich mit beiden Händen an die Brust. Als der Anfall vorüber war, schloss sie wieder die Augen und verharrte regungslos auf ihrem Sitz. Die Kutsche und der nachfolgende Wagen hatten ein Dorf erreicht. Matrjoscha zog ihre dicke Hand unter dem Tuch hervor und bekreuzigte sich.
    »Was gibt es?«, fragte die Kranke.
    »Eine Station, Herrin.«
    »Warum du dich bekreuzigst, meine ich.«
    »Eine Kirche, Herrin.«
    Die Kranke wandte sich dem Fenster zu und begann, sich langsam zu bekreuzigen, mit weit aufgerissenen Augen auf die große Dorfkirche

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