Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
blickend, um die der Wagen im Bogen herumfuhr.
Die Kutsche und der offene Wagen fuhren gleichzeitig am Stationsgebäude vor. Aus dem zweiten Gefährt stiegen der Mann der kranken Dame sowie der Arzt und traten an die Kutsche heran.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte der Arzt, während er ihren Puls fühlte.
»Nun, Liebste, bist du sehr erschöpft?«, erkundigte sich ihr Mann auf Französisch. »Willst du nicht für einen Augenblick aussteigen?«
Matrjoscha räumte ihre Bündel zur Seite und drückte sich in die Ecke, um bei der Unterhaltung nicht im Wege zu sein.
»Ach, es ist immer dasselbe«, antwortete die Kranke. »Aussteigen werde ich nicht.«
Nachdem ihr Mann ein paar Minuten verweilt hatte, begab er sich ins Stationsgebäude. Matrjoscha sprang aus dem Wagen, lief auf Zehenspitzen über die aufgeweichte Straße und verschwand in der Toreinfahrt.
»Wenn es mir schlecht geht, ist das für Sie kein Grund, auf das Frühstück zu verzichten«, sagte die Kranke mit einem schwachen Lächeln zum Arzt, der am Wagenschlag stehen geblieben war.
Niemand ist es um mich zu tun, fügte sie in Gedanken hinzu, als der Arzt zuerst leise zurückgetreten war und dann mit schnellen Schritten die Stufen zum Stationsgebäude hinauflief. Wenn sie sich nur selbst wohl fühlen, alles andere ist ihnen gleichgültig. O mein Gott!
»So, Eduard Iwanowitsch«, empfing der Mann den Arzt, sich vergnügt lächelnd die Hände reibend, »ich habe schon nach der Proviantkiste geschickt. Was meinen Sie dazu?«
»Das ist nicht übel«, erwiderte der Arzt.
»Und wie finden Sie nun ihren Zustand?«, fragte der Mann mit gedämpfter Stimme und zog seufzend die Brauen hoch.
»Wie gesagt, es ist ausgeschlossen, dass sie es bis Italien schafft. Wir müssen schon Gott danken, wenn wir mit ihr bis Moskau kommen. Besonders bei diesem Wetter.«
»Ja, was soll man bloß machen? O mein Gott, mein Gott!«, stöhnte der Mann und bedeckte die Augen mit der Hand. »Bring sie hierher«, rief er dann dem Hausknecht zu, der mit der Proviantkiste hereinkam.
»Es wäre richtiger gewesen, gar nicht erst abzureisen«, meinte der Arzt achselzuckend.
»Ja, was blieb mir denn übrig, sagen Sie selbst?«, fuhr der Mann fort. »Ich habe doch alles versucht, um sie zurückzuhalten: Unsere pekuniäre Lage habe ich angeführt, die Kinder, die wir allein lassen mussten, meine geschäftlichen Angelegenheiten – sie lässt nichts gelten. Sie schmiedet Pläne für das Leben im Ausland wie eine Gesunde. Und sie über ihren Zustand aufzuklären, würde doch bedeuten, sie zu töten.«
»Sie ist ja schon so gut wie tot, darüber müssen Sie sich im Klaren sein, Wassili Dmitritsch. Kein Mensch kann ohne Lungen leben, denn Lungen wachsen nicht nach. Es ist traurig, ist schwer für Sie, doch was lässt sich dagegen tun? Wir, Sie und ich, können nur noch darauf bedacht sein, dass ihr ein möglichst ruhiges Ende beschieden sein möge. Dazu gehört ein Beichtvater.«
»Oh, mein Gott! Stellen Sie sich nur meine Lage vor, wenn ich sie an ihren Letzten Willen erinnern soll. Mag kommen, was kommen mag, aber davon kann ich ihr nicht sprechen. Sie wissen doch, wie gütig sie ist. . .«
»Dann suchen Sie sie wenigstens zu überreden, dass sie mit der Reise wartet, bis wir Schlittenbahn haben«, sagte der Arzt mit einem bedeutsamen Kopfschütteln. »Denn sonst kann unterwegs ein Unglück geschehen …«
»Axjuscha, he, Axjuscha!«, kreischte die Tochter des Stationsvorstehers, die sich eine Pelzjacke über den Kopf geworfen hatte und auf dem schmutzigen hinteren Treppenaufgang umherstapfte. »Komm, wir wollen uns die Gutsherrin aus Schirkino angucken; sie hat ein Brustleiden, heißt es, und wird zum Auskurieren ins Ausland gebracht. Ich habe noch nie gesehen, wie Schwindsüchtige aussehen.«
Axjuscha kam aus der Tür gesprungen, und beide Mädchen liefen, sich gegenseitig an den Händen fassend, durch das Tor auf die Straße. Mit langsamen Schritten gingen sie an der Kutsche vorbei und blickten durch das heruntergelassene Fenster. Die Kranke wandte ihnen den Kopf zu, ihr Gesicht verfinsterte sich jedoch, als sie die Neugier der Mädchen bemerkte, und sie drehte sich um.
»Meine Güte!«, sagte die Tochter des Stationsvorstehers und wandte schnell den Kopf weg. »Was war sie für eine Schönheit, und wie sieht sie jetzt aus! Richtig schauerlich. Hast du sie gesehen, Axjuscha?«
»Ja, ganz abgemagert ist sie«, stimmte Axjuscha zu. »Komm, wir tun, als wollten wir zum Brunnen
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