Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
an.
Der Hausherr, ein leidenschaftlicher Anhänger des Rennsports, war einer von jenen kraftstrotzenden, heißblütigen und nie aussterbenden Männern, die in Zobelpelzen ausfahren, Schauspielerinnen prächtige Blumensträuße zuwerfen, in den luxuriösesten Restaurants die teuersten Weine der neuesten Marke trinken, nach ihnen benannte Preise stiften und sich die kostspieligste Mätresse halten.
Der von auswärts gekommene Gast, Nikita Serpuchowskoi, war ein hochgewachsener, beleibter Mann Anfang der Vierziger mit bereits kahlem Kopf, aber üppigem Schnurr- und Backenbart. Früher einmal musste er sehr gut ausgesehen haben. Jetzt indessen war er sichtlich heruntergekommen, sowohl physisch und moralisch als auch in finanzieller Hinsicht.
Er steckte so tief in Schulden, dass er sich gezwungen sah, einen Posten anzunehmen, um nicht eingelocht zu werden. Jetzt befand er sich auf der Reise in die Gouvernementshauptstadt, wo er die Leitung des staatlichen Gestüts übernehmen sollte. Diesen Posten hatten ihm seine einflussreichen Verwandten verschafft. Er trug einen Uniformrock und blaue Hosen. Beides zeichnete sich durch eine Eleganz aus, wie sie sich sonst nur sehr reiche Leute leisten können; dasselbe traf für seine Wäsche und seine Uhr englischen Fabrikats zu. Seine Stiefel hatten etwas komisch aussehende fingerdicke Sohlen.
Nikita Serpuchowskoi hatte im Laufe seines Lebens ein Vermögen von zwei Millionen durchgebracht und darüber hinaus noch hundertzwanzigtausend Rubel Schulden gemacht. Ein solcher Lebensstil wirkt immer noch eine ganze Weile weiter, verschafft einem Kredit und die Möglichkeit, das bisherige luxuriöse Leben fast unverändert noch etwa zehn Jahre fortzusetzen. Doch mittlerweile gingen die zehn Jahre zur Neige, der Kredit war erschöpft, und das Leben begann für Nikita trübselig zu werden. Er gewöhnte sich bereits daran, zur Flasche zu greifen, um sich einen Rausch anzutrinken, was früher nie vorgekommen war, obwohl er sein ganzes Leben hindurch endlos getrunken hatte. Am meisten jedoch äußerte sich sein Niedergang in dem unruhigen Blick seiner Augen (sie hatten einen unsteten Ausdruck angenommen) sowie in der Unsicherheit seiner Sprechweise und seiner Bewegungen. Diese Unruhe wirkte an ihm umso befremdender, als sie sich seiner offenbar erst seit kurzem bemächtigt hatte, und man sah, dass er sein Leben lang gewohnt gewesen war, niemanden und nichts zu fürchten, und erst neuerdings, in allerletzter Zeit, durch schweres Leid zu dieser Unsicherheit gebracht worden war, die so gar nicht seiner Natur entsprach. Der Herr und die Frau des Hauses, die dies erkannten, tauschten verständnisvolle Blicke aus und kamen stillschweigend überein, eine eingehende Erörterung hierüber bis zum Zubettgehen zu verschieben; sie ertrugen den armen Nikita mit Geduld und behandelten ihn sogar besonders freundlich. Angesichts des Glücks, in dem der junge Gutsherr schwelgte, empfand Nikita seine eigene Lage umso schmerzlicher und wurde bei dem Gedanken an sein unwiederbringlich verlorenes einstiges Leben von nagendem Neid erfüllt.
»Wird Ihnen der Zigarrenrauch nichts ausmachen, Marie?«, wandte er sich an die Dame des Hauses in jenem besonders nuancierten, zwar höflichen und freundschaftlichen, aber doch nicht völlig ehrerbietigen, nur in der Praxis zu erwerbenden Ton, in dem welterfahrene Männer mit den Geliebten ihrer Freunde zum Unterschied von deren legitimen Frauen zu sprechen pflegen. Nicht etwa, dass er die Absicht gehabt hätte, sie zu kränken; im Gegenteil, ihm lag weit eher daran, sie und ihren Gebieter günstig für sich zu stimmen, wenn er sich dies auch um keinen Preis eingestanden hätte. Aber es war ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen, mit solchen Frauen in diesem Ton zu sprechen. Auch wusste er, dass sie selbst befremdet, ja sogar verletzt gewesen wäre, wenn er sie wie eine wahre Dame behandelt hätte. Zudem kam es darauf an, sich eine gewisse Steigerung in der Ehrerbietigkeit des Tons für den Umgang mit legitimen Frauen Gleichgestellter vorzubehalten. Er behandelte Damen dieser Art stets zuvorkommend – nicht deshalb etwa, weil er die sogenannten Grundsätze geteilt hätte, die in manchen Zeitschriften propagiert wurden und von der Achtung der Persönlichkeit jedes Menschen, der Nichtigkeit der Ehe und dergleichen mehr handelten – diesen Unsinn las er überhaupt nicht –, sondern einfach deshalb, weil sich alle anständigen Menschen so benahmen; und ein anständiger
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