Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
»Ich kann dir sagen, dass meine Pferde bei einem Rennen als Erste pausenlos…«
»Deine Pferde! Damals gab es schnellere.«
»Wie? Schnellere?«
»Ja, schnellere. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich in Moskau eines Tages zu einem Rennen fuhr. Von meinen Pferden liefen keine. Für Traber hatte ich nichts übrig, ich besaß lauter Vollblutpferde: General, Cholet, Mohammed. Vor dem Wagen hatte ich den Schecken. Mein Kutscher war ein netter Bursche, ich mochte ihn sehr gern. Der ist inzwischen auch dem Trunk erlegen. Ich kam also hin. ›Serpuchowskoi, wann wirst du dir endlich Traber anschaffen?‹, wurde ich gefragt. ›Eure Bauerngäule können mir gestohlen bleiben, die überholt mein Kutschpferd, dieser Schecke hier, allesamt.‹ – ›Na, das bezweifeln wir sehr!‹ – ›Wetten? Um tausend Rubel!‹ Die andern schlugen ein, und die Pferde liefen los. Mit fünf Sekunden Vorsprung kam er an, und ich hatte tausend Rubel gewonnen. Ja, das war anders als heute. Mit drei Vollblutpferden vor dem Wagen habe ich hundert Werst in drei Stunden zurückgelegt. Ganz Moskau weiß davon.«
Serpuchowskoi war so redselig geworden und setzte seine Aufschneidereien so pausenlos fort, dass der Hausherr überhaupt nicht mehr zu Worte kam, ihm mit verdrießlicher Miene gegenübersaß und nur aus Langeweile ab und zu Wein in sein und des Gastes Glas nachfüllte.
Der Morgen dämmerte bereits, und sie saßen immer noch beisammen. Der Hausherr verging vor Langeweile. Er stand auf.
»Na, dann müssen wir wohl«, sagte Serpuchowskoi, stand ebenfalls auf und taumelte schwer atmend in das ihm zugewiesene Zimmer.
»Nein, er ist unerträglich«, sagte der Hausherr, als er bei seiner Geliebten lag. »Trinkt sich einen Rausch an und schwatzt unaufhörlich dummes Zeug.«
»Und mir macht er obendrein den Hof.«
»Ich fürchte nur, er wird mich anpumpen wollen.«
Serpuchowskoi lag derweil unausgezogen auf seinem Bett und schnappte nach Luft.
Ich glaube, ich habe ihm allerhand vorgeflunkert, dachte er. Nun, wennschon! Sein Wein ist gut, aber er selbst ist ein großer Schweinehund! So was Krämerhaftes hat er an sich. Und auch ich bin ein großer Schweinehund, bezichtigte er sich in Gedanken und brach in Gelächter aus. Früher habe ich mir Mätressen gehalten, jetzt hält man mich aus. Ja, die Frau von diesem Winkler hält mich aus, ich nehme Geld von ihr. Das geschieht ihm ganz recht, geschieht ihm ganz recht! Doch ich muss mich ja noch ausziehen, aber die Stiefel werde ich nicht runterkriegen…
»Heda! Heda!«, rief er nach dem zu seiner Bedienung bestimmten Diener; doch der war längst schlafen gegangen.
Er richtete sich auf, zog den Rock und die Weste aus, streifte mit Ach und Krach auch die Hosen ab und strengte sich dann lange vergeblich an, die Stiefel auszuziehen, woran ihn sein wabbeliger Bauch hinderte. Den einen hatte er schließlich herunterbekommen, doch mit dem zweiten quälte er sich so lange vergeblich ab, bis ihm der Atem ausging und er vor Erschöpfung nicht weiterkonnte. Und so, mit einem Fuß noch im Stiefelschaft, sank er aufs Bett zurück, begann sofort zu schnarchen und erfüllte das ganze Zimmer mit dem Geruch von Tabak, Wein und widerwärtigem Verfall.
12
Als Leinwandmesser in jener Nacht noch über das eine und andere nachdenken wollte, wurde er von Waska aus seinen Gedanken gerissen. Dieser warf ihm eine Decke über den Rücken, sprengte mit ihm los und ließ ihn vor der Tür einer Schenke bis zum Morgen neben einem Bauerngaul warten. Beide beleckten einander. Morgens kam er zur Herde zurück und musste sich dauernd kratzen.
Was ist das bloß für ein schmerzhaftes Jucken?, überlegte er.
Es vergingen fünf Tage. Da wurde der Rossarzt geholt. Der erklärte erfreut:
»Räude. Verkaufen Sie ihn an Zigeuner!«
»Warum diese Umstände? Am besten, man macht ihm gleich den Garaus, damit er noch heute von hier wegkommt.«
Es war ein klarer, windstiller Morgen. Die Herde begab sich auf die Weide. Leinwandmesser blieb zurück. Bald darauf erschien ein sonderbar aussehender hagerer, finsterer und schmutziger Mann, dessen Rock Spritzer von irgendeiner dunklen Flüssigkeit aufwies. Es war der Abdecker. Er nahm Leinwandmesser, ohne ihn anzusehen, am Zügel und führte ihn hinaus. Leinwandmesser folgte ihm ruhig, ohne sich umzusehen, wie immer mit schleppenden Schritten, wobei sich seine Hinterbeine im Stroh verhaspelten. Nachdem sie durch das Tor gegangen waren, strebte er schnell dem
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