Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
auszuruhen.
Nach Verlauf einer Woche lagen hinter dem Ziegelschuppen nur noch der große Schädel und zwei dicke Knochen; alles Übrige war fortgeschleppt worden. Ein Bauer, der Knochen sammelte, nahm im Sommer auch diese beiden Knochen sowie den Schädel mit und machte sie zu Geld.
Der entseelte Körper Serpuchowskois, der sich auch zu Lebzeiten nur als lebender Leichnam auf der Erde bewegt und gegessen und getrunken hatte, wurde erst geraume Zeit später in die Erde gesenkt. Weder seine Haut noch das Fleisch noch die Knochen waren zu irgendetwas nutze. Und ebenso wie sein über die Erde wandelnder Leichnam für alle schon seit zwanzig Jahren eine bedrückende Last gewesen war, bedeutete auch seine Bestattung für die Menschen nur zusätzliche Mühsal. Schon seit langem hatte niemand mehr ein Interesse an ihm, schon seit langem war er allen nur noch zur Last gefallen; nichtsdestoweniger hielten es die selbst schon abgestorbenen Menschen, die seine Beisetzung besorgten, für geboten, den aufgedunsenen, sich bereits zersetzenden Körper mit einer schönen Uniform und schönen Stiefeln auszustatten, ihn in einen prächtigen, an den vier Ecken mit schönen Quasten verzierten Sarg zu betten, diesen prächtigen Sarg in einen anderen, einen Zinksarg, zu stellen und nach Moskau zu überführen, um dort die Gebeine früher Verstorbener ausgraben zu lassen und unbedingt gerade an dieser Stelle den schon in Verwesung übergehenden, von Würmern wimmelnden Körper mit seiner prächtigen Uniform und den blank geputzten Stiefeln in die Erde zu senken und das Ganze zuzuschütten.
1885
DER TOD DES IWAN ILJITSCH
1
In einem der Säle des Justizpalastes fand heute der Prozess der Melwinskis statt, und in einer Verhandlungspause, in der sich die Mitglieder des Richterkollegiums und der Staatsanwalt in das Zimmer Iwan Jegorowitsch Schebeks zurückgezogen hatten, kam das Gespräch auf den berühmten Fall Krassow. Fjodor Wassiljewitsch versuchte, sich immer mehr ereifernd, die Unzuständigkeit des Gerichts nachzuweisen, während Iwan Jegorowitsch auf seiner gegenteiligen Ansicht beharrte und Pjotr Iwanowitsch, der sich an der Auseinandersetzung von Anfang an nicht beteiligt hatte, die eben von einem Gerichtsdiener hereingebrachte Zeitung durchsah.
»Meine Herren!«, wandte sich Pjotr Iwanowitsch plötzlich an die andern. »Iwan Iljitsch ist gestorben.«
»Ist das möglich?«
»Hier, lesen Sie selbst!«, sagte er und hielt Fjodor Wassiljewitsch die frische, noch nach Druckerschwärze riechende Zeitung hin.
Die schwarzumrandete Anzeige lautete: »Praskowja Fjodorowna Golowina gibt allen Verwandten und Bekannten in tiefem Schmerz bekannt, dass ihr innig geliebter Mann, Iwan Iljitsch Golowin, Mitglied des Obersten Gerichtshofes, gestern, am 4. Februar 1882, verschieden, ist. Die Beisetzung erfolgt Freitag um 1 Uhr mittags.«
Iwan Iljitsch war ein Kollege der anwesenden Herren und hatte sich allseitiger Beliebtheit erfreut. Er war schon seit mehreren Wochen bettlägerig gewesen, und es hatte geheißen, seine Krankheit sei unheilbar. Seinen Posten hatte man für ihn bislang noch frei gehalten, doch in Kollegenkreisen vermutete man schon, dass im Falle seines Ablebens möglicherweise Alexejew zu seinem Nachfolger ernannt und dessen bisherige Stelle entweder Winnikow oder Stabel übertragen würde. Als die im Zimmer Schebeks anwesenden Herren nun vom Tode Iwan Iljitschs erfuhren, war ihr erster Gedanke, welche Folgen dieser Tod in Bezug auf Umbesetzungen und Beförderungen für sie selbst oder ihre Bekannten nach sich ziehen könnte.
Jetzt werde ich bestimmt den Posten von Stabel oder Winnikow bekommen, dachte Fjodor Wassiljewitsch. Mir ist das schon lange versprochen worden, und diese Beförderung bedeutet für mich, ganz abgesehen von den höheren Diäten, eine Gehaltszulage von achthundert Rubel.
Ich muss mich jetzt um die Versetzung meines Schwagers aus Kaluga nach hier bemühen, dachte Pjotr Iwanowitsch. Meine Frau wird sich sehr freuen. Sie wird dann nicht mehr sagen können, ich tue nie etwas für ihre Angehörigen.
»Ich habe mir schon gedacht, dass er nicht wieder auf die Beine kommen wird«, sagte Pjotr Iwanowitsch. »Ein trauriger Fall.«
»Was hat ihm eigentlich gefehlt?«
»Die Ärzte konnten es nicht feststellen. Das heißt, Diagnosen haben sie wohl gestellt, aber jeder eine andere. Bei meinem letzten Besuch hatte ich den Eindruck, dass sich sein Zustand gebessert habe.«
»Ich bin leider seit den
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